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Der Kopflohn

Der Kopflohn

Titel: Der Kopflohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Seghers
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und war froh, daß nichts Totes dicht dabei lag.
    Niklas vom Hofplatz brachte die Sachen zusammen mit dem neuen Brotmesser, das der Bauer auf dem Holzplatz liegengelassen hatte. Das war es, was er damals der Frau zurief. Niklas hatte die Sachen vom Wald her die Dorfstraße entlang geschwenkt. Bei ihrem Anblick ging es dem Bauern noch mal durch und durch. Ein Mann kann sein Maul zusammenreißen, daß die Zähne krachen, er kann die Fäuste ballen, die Hosen zuknöpfen. Doch er kann es nicht hindern, wenn sein Herz vor Freude aufzuckt. Der Bauer erschrak und schnaufte. Er wußte nichts zu sagen, da sagte er: »Komm rein.« Niklas war es unbehaglich, daß sich der Ältere vor ihm schämte. Er selbst war vierundzwanzig Jahre alt, lang und hager. Es war Kraft in ihm, aber nicht zusammengeballt, sondern die Glieder entlanggezogen. Der Bauer hatte schon Reue, daß er ihn reingeholt hatte, aber jetzt mußte er sagen: »Setz dich.« Niklas schlang die Beine um die Stuhlbeine. Er legte die Hand auf den Tisch, da wo die Decke aus irgendeinem Grund umgeschlagen war, und befühlte die Politur mit dem Daumen. Mitten in seiner großen Verwirrung ärgerte sich der Bauer, als hätte sich Niklas auf den Boden setzen sollen, statt mit seinem fremden Hinternden Stuhl abzunutzen. Jetzt spürte der Bauer schon keine Freude mehr, auch kein Leid – Unbehagen. Er sagte: »So was, so was.« Niklas sagte: »Was soll man da sagen?« Der Bauer klapperte mit dem Absatz. Er blickte mit zusammengekniffenen Augen in das Gesicht des Jüngeren, das pfiffige, betrübte Gesicht des Dorfes. Beide dachten, und mit ihnen dachten im gleichen Augenblick alle Denkenden des Dorfes, durch das Niklas das nasse Zeug geschwenkt hatte: Wirklich ein Unglück. Wenn auch aus ihm letzten Endes ein Erbe kommt, ein gutes Stück Land, ein neues Haus, vielleicht sogar ein Pferd. Zwar bleibt Unglück Unglück und zeichnet den Mann für immer. Aber anderseits wäre es auch unsinnig, deshalb sein Stück Land nicht zu pflügen, nicht in das neue Haus einzuziehen und nicht das Pferd statt der Kuh einzuspannen.
    Der Ältere seufzte erleichtert. Der Jüngere sah aus dem Gesicht des Älteren weg, in dem es überhaupt nichts Neues mehr gab. Er sah das Plüschsofa an, das räudig geworden war, seit der jüngere Sohn darauf schlief, die Uhr und die Kommode. All diese Möbel hatte der Bauer hereinbringen lassen, damals, als er sich vor dem Spott eines öffentlichen Brautzuges fürchtete. Sie wußten andere Dinge von ihm als seine Väter. Seine Blicke schnupperten hinter Niklas’ Blicken her, scharf und mißtrauisch wie Hunde.
    Niklas selbst sollte in diesem Jahr heiraten. Es war schon beschlossen, welche. Deshalb schätzte er den Besitz des andern genau ein, so wie die Lust und Sorgen, die daran hingen. Die Seine freilich war sauber, ihre Eltern waren ordentlich, die Äcker lagen geschickt. Wenn man ihr von hinten nachsah, wackelte sie ein bißchen auf etwas zu kurzen Beinen. Ihre Backen waren rund und glänzten. Trotzdem: Um eine abzupassen und sie zu packen und mit ihr ins Korn zu fallen, ach, hätte er die nicht gegriffen, die nicht.
    Der ältere Bauer, in seiner eigenen großen Verstörtheit,wunderte sich, warum der Jüngere auf einmal die Lider zudrückte. Dann fiel es ihm ein, daß der Jüngere dieses Jahr heiraten sollte, und wen, und daß die Äcker geschickt lagen und das Paar soso zusammenpaßte. Niklas stand plötzlich auf. Der Bauer sagte: »Wart doch, ich geh mit. Man muß doch suchen.« Er bekam jetzt erst richtig Angst.
    Die Frau wurde nicht vom Dorf aus gefunden, sondern von Forstknechten. Sie wurde deshalb dort abgeliefert und eingetragen, wo die Försterei zuständig war, auf dem Amt in der Kreisstadt Billingen. Der Bauer wußte das alles längst, als er seine Zustellung bekam, in welcher geschrieben stand, er müßte sich vormittags auf dem Amt einfinden, um die Frau als die seinige anzuerkennen.
    Inzwischen hatten sich Nachbarn seiner häuslichen Angelegenheiten angenommen. Ein Dutzend Hände teilten sich zwischendurch in die Arbeit, die die toten Hände gelassen hatten. Neugierige Griffe in die Kommode, in die Betten, in die Polster des Sofas. Die Kinder wurden versorgt, das Essen gekocht, zwischen Haus und Apfelbaum flatterte die Wäsche, in Wirklichkeit, kein Trugbild. Einzig und allein die Frau selbst war das Hindernis gewesen, daß alles seinen Gang ging in vernünftiger Aufteilung. Denn den Toten kann und darf man die Lasten abnehmen, nicht den

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