Der kranke Gesunde
der Situation, bis die Angst von alleine ganz oder wesentlich abnimmt. Statt sich aber wie früher in Angst und Panik hineinzusteigern, lernt man in dieser Zeit, den Körper und die Umwelt ganz realistisch zu beobachten. Wir haben da immer einen ›Körpercheck‹ durchgeführt, bei dem ich auch all die Symptome durchgegangen bin, in denen ich früher immer Krankheitszeichen gesehen hatte. Ich habe dann immer ihre Intensität eingeschätzt und – so verrückt das klingt – einfach abgewartet, bis sie abgeklungen sind. Und das sind sie wirklich! Einen solchen Check mache ich heute noch, wenn die Angst wieder in mir aufsteigt. Heute vertraue ich deshalb mir und meinem Körper: ›Es passiert nichts Schlimmes und was unangenehm ist, lässt auch wieder nach.‹
Die Bereitschaft aufzubringen, das zu tun, wovor ich Angst habe, war auch in meiner Beziehung zu Bettina wichtig. Im Grunde meines Herzens hatte ich Angst davor, sie könne sich, wenn ich gesund bin, von mir zurückziehen oder mich am Ende sogar ganz verlassen. Geholfen hat mir die Entscheidung, genau das alles Bettina einmal ehrlich zu sagen: Dass ich das befürchte. Dass ich das nicht will. Und sogar, dass ich das überleben würde, wenn sie das wollte. Sie müsse nicht als Krankenschwester bei mir bleiben! In solchen Momenten klopfte mir das Herz bis zum Hals und gleichzeitig wuchsen eine lange nicht mehr gekannte Kraft in mir, ein Vertrauen in mich und dann auch eines zwischen mir und Bettina.«
Entscheiden und Handeln
Viele Handlungen folgen direkt und wie von selbst aus einer neuen Einsicht. Man sieht dann: Alles spricht für das Neue und das gelingt einem leicht und ohne Risiken – also tut man es. Häufiger aber spielen sich in der Psyche nach solchen Einsichten regelrechte Pro- und Kontra-Kämpfe ab. Für das Alte spricht dann immer, dass man es mitsamt den Folgen kennt. Gegen das Neue spricht, dass man nicht weiß, wie es ausgeht. Bei solchen innerpsychischen Ambivalenzen und Turbulenzen braucht es in der Psyche dann eine Instanz, die entscheidet. Psychologen nennen diese Instanz das »Selbst« oder das »Ich«. Auch wenn Psychologen sich schwer tun, genau zu beschreiben, was es mit dieser Instanz in der Psyche eines Menschen eigentlich auf sich hat, kennt das doch jeder. Manche Handlungen, die einem zwar richtig erscheinen, gegen die man sich jedoch sträubt, brauchen als Geburtshilfe eine Entscheidung: Jetzt wird es gemacht! Oder: Nein, es wird nicht gemacht!
Sowohl-als-auch statt Entweder-oder
Wir wollen hier am Ende unseres Buches nicht ein neues Problem erzeugen, indem wir ein sehr ungesundes Entweder-oder einführen: Entweder du änderst dich oder nicht. Das blockiert. Heilsamer für Psyche, Körper und soziale Welt ist fast immer ein Sowohl-als-auch. Wie kann sich das äußern? In der Akzeptanz von Fort- und Rückschritten. Darin, dass man sich einen kleinen Teil an Veränderung vornimmt, aber nicht gleich das Ganze. Dass man z. B. eine kleine Bitte äußert, aber nicht den großen Wunsch, dass man sich einmal eine Stunde Auszeit aus dem großen »Fürsorgeprogramm für andere« nimmt und nicht gleich ganze Tage oder Wochen. Oder dass man in einer Partnerschaft aus einer bestimmten Rolle, nicht aber aus der ganzen Beziehung aussteigt: sowohl »Trennung« (von der Rolle) wie auch »Bleiben« (in der Partnerschaft).
ÜBUNG
Eine Entscheidung treffen
An dieser Stelle endet die Wirkungskraft der Experten. Jeder trifft seine eigene Entscheidung, weil man im Grunde gar nicht »nicht« entscheiden kann. Lässt man alles beim Alten, ist das eine Entscheidung für das Alte; macht man was Neues, ist es eine Entscheidung für eine Veränderung. Schwankt man weiter hin und her und entscheidet nichts, dann hat man sich dafür entschieden, sich nicht zu entscheiden. Auch das ist eine Entscheidung. Dann entscheiden oft andere.
Wie sieht es bei Ihnen aus? Entscheiden Sie sich für eine Veränderung und nehmen die damit verbundenen Konsequenzen in Kauf (ob vorhersehbar oder nicht)? Wenn ja, wird Ihnen diese Entscheidung selbst Kraft für Ihr Handeln geben.
Aber auch wenn Sie sich bewusst entscheiden, eine Veränderung nicht oder jetzt noch nicht zu vollziehen, ist das eine Entscheidung, die sehr kraftvoll wirken kann. Sie beendet auf jeden Fall den kraftraubenden labilen Zustand des »Ja-aber«.
Auch wenn Sie jetzt beschließen, die Entscheidung eine bestimmte Zeit zu vertagen, kann Ihnen das Kraft und Ruhe bringen. Ihre Kräfte und Energien können dann
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