Der lange Weg zur Freiheit
südafrikanische. Ich wollte eine echte Regierung der nationalen Einheit.
Am Abend des 2. Mai hielt Mr. de Klerk eine freundliche, von Konzessionen geprägte Rede. Nach mehr als dreihundert Jahren der Herrschaft räumte die weiße Minderheit ihre Niederlage ein und übergab die Macht der schwarzen Mehrheit. An jenem Abend wollte der ANC im Ballsaal des Carlton Hotel im Zentrum von Johannesburg eine Siegesfeier abhalten, doch ich litt unter einer schweren Grippe, und meine Ärzte befahlen mir, zu Hause zu bleiben. Doch mich konnte nichts davon abhalten, mit meiner Partei zu feiern. Um 21 Uhr betrat ich die Rednertribüne und schaute in eine Menge glücklich lächelnder, Beifall klatschender Menschen. Ich erklärte meinen Zuhörern, daß meine Stimme heiser sei von einer Erkältung und daß mein Arzt mir geraten hätte, nicht an der Feier teilzunehmen. »Ich hoffe, Sie sagen ihm nicht, daß ich seine Anweisungen in den Wind geschlagen habe«, scherzte ich. Mr. de Klerk gratulierte ich für seinen starken Auftritt. Mein Dank galt all denen im ANC und in der demokratischen Bewegung, die über so lange Zeit so hart gearbeitet hatten. Mrs. Coretta King, die Frau des großen Freiheitskämpfers Martin Luther Jr. saß an diesem Abend mit auf dem Podium, und ich schaute zu ihr hinüber, als ich auf die unsterblichen Worte ihres Mannes anspielte.
»Dies ist einer der bedeutendsten Augenblicke im Leben unseres Landes. Ich stehe hier vor Ihnen, ganz erfüllt von Stolz und Freude… von Stolz auf die einfachen, kleinen Leute dieses Landes. Sie haben eine solch ruhige, geduldige Entschlossenheit bewiesen, als Sie dieses Land als Ihr eigenes zurückforderten, und nun die Freude, daß wir von allen Dächern laut verkünden können… Endlich frei! Endlich frei! Ich stehe vor Ihnen, beschämt durch Ihren Mut, mit einem Herzen voller Liebe für Sie alle. Ich betrachte es als höchste Ehre, den ANC in diesem Augenblick unserer Geschichte zu führen. Ich bin Ihr Diener… Nicht die Individuen zählen, sondern die Gemeinschaft… Dies ist eine Zeit, um die alten Wunden zu heilen und ein neues Südafrika aufzubauen.«
Von dem Augenblick an, da die Wahlergebnisse feststanden und es offenkundig war, daß der ANC die Regierung bilden würde, sah ich meine Mission darin, für Versöhnung zu werben, die Wunden des Landes zu pflegen, Vertrauen und Zuversicht zu stärken. Ich wußte, daß viele Menschen, vor allem die Minderheiten, Weiße, Farbige und Inder, mit Angst in die Zukunft schauten, und ich wünschte mir, daß sie sich sicher fühlten. Ich erinnerte die Menschen immer und immer wieder daran, daß der Freiheitskampf nicht ein Kampf gegen irgendeine Gruppe oder Hautfarbe war, sondern ein Kampf gegen ein Unterdrückungssystem. Bei jeder Gelegenheit erklärte ich, alle Südafrikaner müßten nun zusammenfinden, sich die Hand reichen und verkünden, daß wir ein Land seien, eine Nation, ein Volk, und daß wir gemeinsam in die Zukunft gingen.
Der10. Mai brach an, hell und klar. In den vergangenen Tagen war ich aufs angenehmste belagert worden, von eintreffenden Würdenträgern und führenden Staatsmännern der Welt, die mir vor der Amtseinführung ihren Respekt zollen wollten. Die Amtseinführung würde die größte Versammlung internationaler Führungspersönlichkeiten sein, die Südafrika je erlebt hatte.
Die Feierlichkeiten fanden im lieblichen, aus Sandstein bestehenden Amphitheater statt, das von den Union Buildings in Pretoria gebildet wird. Jahrzehntelang war dies der Sitz der weißen Vorherrschaft gewesen, und jetzt war es der regenbogenfarbene Versammlungsplatz verschiedener Hautfarben und Nationen, die der Einsetzung der ersten demokratischen, nichtrassistischen Regierung Südafrikas beiwohnen wollten.
An diesem schönen Herbsttag wurde ich von meiner Tochter Zenani begleitet. Auf dem Podium wurde zuerst Mr. de Klerk als zweiter stellvertretender Präsident vereidigt, anschließend Thabo Mbeki als erster stellvertretender Präsident. Als die Reihe an mir war, gelobte ich, die Verfassung zu befolgen und zu bewahren, und verpflichtete mich, für das Wohlergehen der Republik und seiner Menschen Sorge zu tragen. Vor den versammelten Gästen und unter den Augen der Welt erklärte ich:
»Heute statten wir alle durch unsere Anwesenheit hier… die neugewonnene Freiheit mit Ruhm und Hoffnung aus. Aus den Erfahrungen eines außergewöhnlichen menschlichen Desasters, das viel zu lange gedauert hat, muß eine Gesellschaft
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