Die Sünde des Abbé Mouret
Kapitel 1
Die Teusin lehnte beim Hereinkommen Besen und Staubwedel an den
Altar. Sie hatte sich mit dem Einweichen der Halbjahreswäsche
aufgehalten. Zum Angelusläuten durchquerte sie die Kirche, hinkte
in der Eile stärker und stieß gegen die Bänke. Neben dem
Beichtstuhl hing der Strick vom Gewölbe nieder, seine kahle
Schäbigkeit lief in einen starken, abgegriffenen Knoten aus. Mit
aller Kraft und in gleichmäßigem Zug hing sie sich an ihn, dann
ließ sie sich mitschwingen, wogte in ihren Röcken hin und her, mit
verrutschter Haube, das breite Gesicht blutbedrängt. Nachdem sie
ihre Haube mit einem leichten Klaps zurechtgeschoben hatte, ging
die Teusin außer Atem zurück, um vor dem Altar zu fegen. Hier
setzte sich der Staub jeden Tag hartnäckig fest, zwischen den
schlechtgefügten Dielen der Estrade. Mürrisch und erbost stöberte
der Besen in den Ecken. Dann nahm sie die Decke von der Altarplatte
und bemerkte geärgert, daß das große Übertuch, an zwanzig Stellen
bereits ausgebessert, gerade in der Mitte neu durchgewetzt sei; das
doppeltgefaltete Untertuch war ebenfalls so dünn und fadenscheinig, daß man den im bemalten Altarholzwerk
eingelassenen geweihten Stein sehen konnte. Sie entstaubte das
alte, vergilbte Leinenzeug und fuhr heftig mit dem Federbesen am
Altaraufbau entlang, gegen den sie die liturgischen Tafeln
aufrichtete.
Hierauf bestieg sie einen Stuhl und entfernte die gelbkattunenen
Schutzhüllen vom Kruzifix und den zwei Armleuchtern. Das Kupfer
erwies sich fleckgetrübt.
»Ja, ja,« brummelte die Teusin vor sich hin, »die können das
Putzen schon vertragen. Mit Tripel müßten sie bearbeitet werden.«
Dann machte sie sich auf den Weg nach der Sakristei, hinkend und
fast auf einem Bein, unter Gliederverrenkungen und einem Gestolper
zum Steinerweichen, holte das Meßbuch, legte es geschlossen auf das
Pult zur Seite der Epistel, die Schnittfläche der Altarmitte
zugekehrt. Zwei Kerzen wurden entzündet. Indem sie ihr Kehrzeug
fortschaffte, ließ sie den Blick ringsum wandern, um sich zu
versichern, daß der Haushalt des lieben Gottes wohlbestellt sei.
Die Kirche schlief; einzig der Glockenstrick neben dem Beichtstuhl
schwang noch von der Wölbung zum Steinboden nieder in biegsamer
Längsbewegung.
Gerade betrat der Abbé Mouret die Sakristei, ein kleines kaltes
Zimmer, das nur ein Gang vom Eßzimmer trennte.
»Guten Tag, Herr Pfarrer,« sagte die Teusin, ihre Geräte
abstellend. »Ah, heut' morgen haben Sie Faulpelz gespielt! Wissen
Sie, daß es schon Viertel nach sechs ist?« Und ohne dem lächelnden
jungen Geistlichen Zeit zur Antwort zu lassen, fuhr sie fort: »Ich
muß mit Ihnen zanken. Wieder ein Loch in der Decke. Das ist
Unvernunft! Wir haben nur eine zum Auswechseln, und
seit drei Tagen verderb' ich mir die Augen
beim Stopfen, und der arme Jesus wird nackt und bloß sein, wenn Sie
so weitermachen.«
Immer noch lächelte der Abbé Mouret. Fröhlich sagte er: »Jesus
benötigt gar nicht so viel Wäsche, gute Teuse; ihm ist allzeit
warm, und ein fürstlicher Empfang ist immer ihm bereitet, wenn man
ihn innig liebt.« Dann fragte er, zu einem kleinen Röhrbrunnen
gehend:
»Ist meine Schwester schon auf? Ich habe sie noch nicht
gesehen.«
»Fräulein Desiderata ist schon längst unten,« antwortete die
Dienerin, vor einem alten Küchenkasten kniend, der die geweihten
Kleider barg. »Sie ist schon bei ihren Hühnern und
Stallhasen … gestern erwartete sie Kücken, die nicht
auskriechen wollten. Die Aufregung können Sie sich denken!« Sie
unterbrach sich mit der Frage: »Das goldene Meßgewand, nicht
wahr?«
Der Priester, der sich, ein Gebet auf den Lippen, die Hände
gewaschen hatte, nickte zustimmend mit dem Kopf. Die Pfarrei besaß
nur drei Meßgewänder, ein violettes, ein schwarzes und eines aus
Goldstoff. Des letzteren bediente man sich auch an den Tagen, wo
weiß, rot oder grün vorgeschrieben war; so gelangte es zu
außerordentlichem Ansehen, und die Teusin nahm es voller Sorgfalt
aus dem mit blauem Papier belegten Gefach, wohin es nach jeder
Zeremonie gebreitet wurde, legte es auf den Kasten und entfernte
vorsichtig die schützenden Leinenstreifen von den Stickereien. Ein
Goldlamm schlummerte auf goldenem Kreuz, von breitem Goldgestrahl
umgeben. Das in den Falten berstende Gewebe franste in kleinen
Büscheln aus. Die erhaben gestickten Verzierungen
zergingen und lösten sich auf. Im Haus gab
es seinethalben eine ständige Besorgnis, ängstliche
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