Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der lange Weg zur Freiheit

Der lange Weg zur Freiheit

Titel: Der lange Weg zur Freiheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nelson Mandela
Vom Netzwerk:
Frauen getreten. Die Frauen und Kinder trugen in Ocker gefärbte Wolldecken; nur die wenigen Christen im Dorf trugen Kleidung westlichen Stils. Rinder, Schafe, Ziegen und Pferde grasten auf gemeinsamen Weiden. Das Land um Qunu war fast gänzlich baumlos, abgesehen von einer Gruppe von Pappeln auf dem Hügel, der das Dorf beherrschte. Das Land selbst gehörte dem Staat. Bis auf wenige Ausnahmen waren Afrikaner damals keine Grundbesitzer, sondern Pächter, die der Regierung alljährlich Pacht zu zahlen hatten. In dem Gebiet gab es zwei kleine Grundschulen, einen Kaufladen und einen sogenannten Dipping Tank, in dem das Vieh von Zecken und Krankheiten befreit wurde.
    Mais (oder was wir Mealies nannten und Leute im Westen Com), Hirse, Bohnen und Kürbisse bildeten den Hauptteil unserer Nahrung, nicht weil wir eine angeborene Vorliebe für diese Dinge gehabt hätten, sondern weil die Leute sich nichts Besseres leisten konnten. Die reicheren Familien in unserem Dorf ergänzten ihre Nahrung durch Tee, Kaffee und Zucker, doch für die meisten Menschen in Qunu waren dies exotische Luxusgüter, die ihre Möglichkeiten weit überstiegen. Das Wasser, das für die Landwirtschaft sowie zum Kochen und Waschen gebraucht wurde, mußte eimerweise von Bächen und Teichen geholt werden. Dies war Frauenarbeit, und in der Tat war Qunu ein Dorf der Frauen und Kinder: Die meisten Männer verbrachten den größeren Teil des Jahres als Arbeiter in den Minen entlang dem Reef, jenem großen Bergkamm aus goldhaltigem Fels und Schiefer, der die südliche Begrenzung von Johannesburg bildet. Vielleicht zweimal im Jahr kehrten sie zurück, und das hauptsächlich, um ihre Felder zu pflügen. Das Hacken, Jäten und Ernten war Sache der Frauen und Kinder. Im Dorf konnten nur wenige, falls überhaupt, lesen oder schreiben, und der Gedanke an Bildung war damals noch vielen fremd.
    Meine Mutter war in Qunu für drei Hütten verantwortlich, die, soweit ich mich erinnern kann, immer voller Babys und Kinder meiner Verwandten waren. In der Tat kann ich mich kaum an irgendeinen Augenblick erinnern, wo ich allein war. In der afrikanischen Kultur gelten die Söhne und Töchter der Tanten und Onkel als Brüder und Schwestern, nicht als Cousins und Cousinen. Wir machen, was unsere Verwandten betrifft, nicht die gleichen Unterschiede wie die Weißen. Wir haben keine Halbbrüder. Die Schwester meiner Mutter ist meine Mutter; der Sohn meines Onkels ist mein Bruder, der Sohn meines Bruders ist mein Sohn.
    Von den drei Hütten meiner Mutter wurde eine benutzt zum Kochen, eine zum Schlafen und eine zum Lagern von Nahrung und anderen Dingen. In der Hütte, in der wir schliefen, gab es kein Mobiliar im westlichen Sinn. Wir schliefen auf Matten und saßen auf dem Boden. Kissen lernte ich erst kennen, als ich nach Mqkekezweni ging. Meine Mutter bereitete die Mahlzeiten in einem dreibeinigen Eisentopf zu, der über einem offenen Feuer in der Hüttenmitte oder draußen stand. Alles, was wir aßen, bauten wir selbst an und bereiteten es selbst zu. Meine Mutter pflanzte und erntete ihre eigenen Mealies. Mealies wurden geerntet, wenn sie hart und trocken waren. Sie wurden aufbewahrt in Säcken oder in Gruben, die ins Erdreich gegraben wurden. Zur Zubereitung der Mealies verwandten die Frauen verschiedene Methoden. Sie zerrieben die Kerne zwischen zwei Steinen, um Brot herzustellen oder sie kochten die Mealies zuerst, um dann Umphothulo (Mealie-Mehl, das mit saurer Milch gegessen wurde) oder Umngqusho (Grütze, zuweilen pur oder mit Bohnen vermischt) herzustellen. Während Mealies manchmal knapp waren, gab es überreichlich Milch von unseren Kühen und Ziegen.
    Schon in frühem Alter verbrachte ich die meiste Zeit im Freien, auf dem Veld, spielte und kämpfte mit anderen Jungen. Ein Junge, der sich im Haushalt herumtrieb und sozusagen an Mutters Schürzenzipfel hing, galt als Muttersöhnchen. Abends teilte ich mein Essen und meine Wolldecke mit denselben Jungen. Als ich ungefähr fünf Jahre alt war, wurde ich Hirtenjunge und hatte auf Schafe und Kälber aufzupassen. Ich lernte die fast mystische Verbindung kennen, welche die Xhosa zum Vieh haben, nicht nur als Lieferant von Fleisch und Milch oder auch Reichtum, sondern als eine Art Gottessegen und Glücksquell. Hier lernte ich auch, mit einer Steinschleuder Vögel vom Himmel zu holen, wilden Honig und Früchte und eßbare Wurzeln zu sammeln, süße Milch direkt aus dem Euter einer Kuh zu trinken, in den klaren, kalten Flüßchen

Weitere Kostenlose Bücher