Der Maedchenmaler
hoben sich. »Ach?«
»In der Straße, in der sie wohnt, ist mehrmals ein fremder Wagen beobachtet worden, der dort geparkt hat«, erklärte Mike. »Und zwar von einer Nachbarin und von Leo, Ilkas Vetter.«
»Welche Marke?«, fragte der Kommissar.
»Mercedes. S-Klasse. Grau. Getönte Scheiben. Wahnsinnsfelgen, laut Leo.«
»Kennzeichen?«
Mike hob die Schultern. »Das hat sich leider keiner eingeprägt.«
»Wie sind Sie an die Informationen gelangt?«
»Merle ist mit einem Foto von Ilka...«
»Sagen Sie mir bitte, dass das nicht wahr ist!« Der Kommissar hatte die Stimme nicht erhoben, trotzdem war mir danach, den Kopf einzuziehen. »Sagen Sie mir, dass Sie nicht wieder auf eigene Faust Nachforschungen angestellt haben!«
Ich hielt mich am Anblick der drei braunen Plastikbecher fest, die ineinander gestapelt auf dem Schreibtisch standen. Er schien ein eifriger Kaffeetrinker zu sein.
»Haben Sie denn nichts aus Ihren Erfahrungen gelernt? Jette! Es ist
mein
Job, Verbrechen aufzuklären und nach Menschen zu suchen, die als vermisst gelten. Und es ist ein verdammt harter Job. Ich kann keine Miss Marple und keinen Mister Stringer gebrauchen, die mir ins Handwerk pfuschen.«
»Aber Miss Marple und Mister Stringer haben...«
»¦die Fälle schließlich aufgeklärt, ich weiß. In der Literatur, Jette! Nicht im wirklichen Leben!«
Mike stieß mich mit dem Ellbogen an.
»Hier ist noch was.« Ich schob das schon ziemlich zerfledderte Heft von
Handwerk und Kunst
über den Schreibtisch. »Ilka hat einen Bruder, der Maler ist.«
Fassungslos starrte der Kommissar uns an. »Glauben Sie denn allen Ernstes, Sie erzählen mir damit was Neues? Glauben Sie, ich hocke zum Spaß in diesem Büro? Glauben Sie das?« Er griff nach der Zeitschrift.
»Seite elf.«
Er schlug sie auf.
»
Der Mädchenmaler
«, sagte ich, als könnte der Kommissar nicht selbst lesen. »Er malt ausschließlich Mädchen. Und wenn Sie mal umblättern...«
Er warf mir einen zornigen Blick zu, bevor er widerwillig meiner Bitte folgte.
»¦dann erkennen Sie, wie ähnlich alle diese Mädchen Ilka sind. Das heißt, ich denke eigentlich nicht, dass es unterschiedliche Mädchen sind. Ich bin davon überzeugt, dass es ein und dasselbe Mädchen ist. In immer anderer Form.«
Auf der Stirn des Kommissars erschienen drei steile Falten. Sie konnten Wut bedeuten, Erstaunen oder Nachdenklichkeit. Ich hoffte auf Nachdenklichkeit. Mike offenbar ebenfalls. Er tastete nach meiner Hand und drückte sie.
»Stecken Sie nicht gerade mitten im Abi?«, fragte der Kommissar und klappte die Zeitschrift zu.
Wir nickten.
»Da haben Sie doch jede Menge um die Ohren?«
Wir nickten wieder.
»Dann tun Sie mir einen Gefallen.« Er stand auf und gab damit das Signal, dass das Gespräch beendet war. »Beschäftigen Sie sich mit Ihren Büchern und lassen Sie mich meine Arbeit erledigen.«
Er ging zur Tür und öffnete sie. Wir wurden auf unmissverständliche Art hinausbefördert.
»Sollten Sie mir in die Quere kommen, haben Sie ein Problem. Ist das klar?«
Draußen angelangt wusste Mike nicht, wohin mit seiner Wut.
»Wichser!« Er trat gegen eine Mülltonne, die im Weg stand. Mit ohrenbetäubendem Scheppern kippte sie um. Abfall rutschte heraus. »Unfähiger, blöder, arroganter Arsch!«
»Du tust ihm Unrecht, Mike. Er macht sich bloß Sorgen um uns.«
»Um Ilka sollte er sich Sorgen machen, dieser elende Dummschwätzer!« Er trat mit voller Wucht gegen einen Briefkasten. Ein kleiner Hund, der an einem Fahrradständer vor einer Bäckerei angebunden war, legte ängstlich die Ohren an.
Ich nahm Mike am Arm, damit er nicht vollends durchdrehte. Er musste ziemlich fertig sein, wenn er so die Beherrschung verlor.
»Überleg doch mal«, sagte ich. »Er hat die Zeitschrift behalten. Also wird er sich damit beschäftigen.«
Mikes Antwort war ein Knurren. Aber ich wusste es auch so - wir würden dem Kommissar in die Quere kommen, ob ihm das passte oder nicht.
Imke war damit beschäftigt, die Unterlagen ihrer Lesereise für die Steuerberaterin aufzubereiten. Sie hatte sich angewöhnt, das immer zügig zu tun und nichts auflaufen zu lassen, damit der Aufwand, den sie betreiben musste, möglichst gering blieb.
Bei Arbeiten, die nichts mit dem Schreiben zu tun hatten, langweilte sie sich immer entsetzlich. Deshalb war sie froh, als das Telefon klingelte.
»Imke Thalheim.«
Eine Weile hörte sie nichts. Als müsse derjenige am anderen Ende
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