Der Mann, der Donnerstag war
mein Versprechen selbst unter rotglühenden Kneipzangen noch halten. Wollen Sie mir nun, zu meiner eigenen Sicherheit, ein kleines Versprechen von einer ähnlichen Art geben?«
»Ein Versprechen?« fragte Gregory – verwundert.
»Ja«, sagte Syme mit tiefem Ernst, »ein Versprechen. Ich schwur zu Gott, daß ich Ihr Geheimnis nicht bei der Polizei anzeigen würde. Wollen Sie mir bei aller Humanität schwören, oder an was immer für ein Viehzeug Sie glauben, daß Sie mein Geheimnis nie irgendeinem Anarchisten offenbaren werden?«
»Ihr Geheimnis?« fragte der über alle Maßen baffe und starre Gregory, »haben Sie ein Geheimnis?«
»Ja«, sagte Syme, »ich habe ein Geheimnis.« Und nach einer Pause – »Wollen Sie schwören?«
Gregory sah ihn sekundenlang wild und durchdringend an und dann sagte er schnell:
»Sie müssen mich behext haben, aber ich bin wütend neugierig auf Sie. Ja ja ja ja, ich schwöre Ihnen, daß ich nichts von allem, was Sie mir sagen werden, den Anarchisten sagen werde. Aber sputen Sie sich, denn sie werden in ein paar Minuten hier sein.«
Syme stand faul auf und schob seine langen weißen Hände in seine langen grauen Hosentaschen. Und kaum hatte er dies getan, so pochte es draußen an der Luke fünfmal – ein Zeichen, daß die ersten Verschwörer anlangten.
»Also ...«, sagte Syme faul, »ich weiß nicht, wie ich Ihnen all das Wahre kürzer mitteilen sollte als mit den drei Worten: daß Ihr Trick, sich als einen meschuggenen Dichter aufzuspielen, sich nicht auf Sie oder Ihren Präsidenten beschränkt. Wir kennen diesen Trick seit einiger Zeit schon – bei Uns – auf der Londoner Kriminalpolizei.« Gregory versuchte aufzuspringen, aber etwas drückte ihn dreimal wieder nieder.
»Was ... sagen ... Sie?« fragte er – und das schien von keiner Menschenstimme mehr –
»Ja«, sagte Syme wie selbstverständlich, »ich bin ein Polizeidetektiv. Aber ich denke, ich höre Ihre Freunde kommen.«
Den Torweg her, da kam ein Murmeln: »Mr. Joseph Chamberlain ...« Und wiederholte sich – zweimal – dreimal – und dann dreißigmal ... und der Haufen der Joseph Chamberlainisten (ein ehrfurchteinflößender Gedanke) meldete trampelnd sich den Korridor herab.
Das dritte Kapitel
Der Mann, der Donnerstag war
Bevor eins der neuen Gesichter im Torweg auftauchte, hatte Gregory sich aus seiner Betäubung befreit: stand mit einem Satz am Tisch, aus seinem Halse rasselnd wie ein wildes Tier: ergriff den Totschläger-Revolver und zielte auf Syme. Der aber, der muckste nicht – und erhob nur eine bleiche und galante Hand.
»Seien Sie doch nicht so albern«, sagte er mit der verweichlichten Würde eines Kuratus. »Sehen Sie denn nicht, daß das ganz überflüssig ist? Sehen Sie denn nicht, daß wir dasselbe Schicksal teilen – daß wir beide in einem Boote treiben? Ja ... und beide hübsch seekrank?«
Gregory war keines Wortes fähig und auch nicht imstande, abzudrücken ... er fragte nur noch mit den Augen.
»Wollen Sie denn nicht einsehen, daß wir eins das andere schachmatt gemacht haben?« rief Syme. »Ich – ich kann der Polizei nicht erzählen, daß Sie Anarchist sind, Sie – Sie können den Anarchisten nicht erzählen, daß ich Polizei bin. Ich kann nichts als Ihnen gegenüber auf meinem Posten sein, indem ich ganz genau weiß, wer Sie sind. Und Sie können nichts als mir gegenüber auf dem Ihrigen sein, indem Sie ganz genau wissen, wer ich bin. Kurz, es ist ein gänzlich abseitiges und verborgenes intellektuelles Duell zwischen uns beiden, total ohne Zeugen, meinen Kopf gegen den Ihrigen gesetzt. Ich bin Polizeimensch, ganz von aller Hilfe aller Polizei verlassen. Und Sie, mein armer Bester, Sie sind Anarchist, ganz außer allem Gesetz und aller Organisation, ganz ohne diese beiden, die selbst die Anarchie doch so nötig hat ... Der einzige Unterschied zwischen uns beiden liegt darin, ob Sie mir Ihren Schutz angedeihen lassen wollen. Sie sind nicht von inquisitorischen Schutzleuten umgeben. Wohl aber ich von inquisitorischen Anarchisten. Ich kann Sie nicht ausliefern, aber es könnte sein, daß ich mich selber ausliefere. Kommen Sie, so kommen Sie doch! und warten Sie's ab und sehen Sie zu, wie ich mich selber ausliefere! Ich werde es auf das Unterhaltlichste tun.«
Gregory ließ das Schießeisen langsam sinken und starrte aber Syme immer noch an, als sei der ein Meerwunder.
»Ich glaube nicht daran, ich glaube in alle Ewigkeit nicht daran«, sagte er endlich, »aber sollten Sie
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