Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)
Kasernen, aber teilt den Kasernen Feldgeistliche zu. Natürlich liefert sie auch den Strolchen mit Blei gefüllte Gummischläuche in die Hand, um den Leib eines Mitmenschen damit krankzuschlagen, und stellt für den einsamen und mißhandelten Leib hinterdrein Daunenbetten bereit, wie es eines war, das in diesem Augenblick Ulrich umgab, als wäre es mit lauter Hochachtung und Rücksicht gefüllt. Es ist das die bekannte Sache mit den Widersprüchen, der Inkonsequenz und Unvollkommenheit des Lebens. Man lächelt oder seufzt dazu. Aber so war nun Ulrich gerade nicht. Er haßte diese Mischung aus Verzicht und Affenliebe im Verhalten zum Leben, die sich dessen Widersprüche und Halbheiten gefallen läßt wie eine eingejungferte Tante die Flegeleien eines jungen Neffen. Nur sprang er auch nicht gleich aus seinem Bett, wenn es sich zeigte, daß das Verweilen darin aus der Unordnung der Menschheitsangelegenheiten Vorteil zog, denn in mancherlei Sinn ist es ein voreiliger Ausgleich mit dem Gewissen auf Kosten der Sache, ein Kurzschluß, ein Ausweichen ins Private, wenn man für seine Person das Schlechte meidet und das Gute tut, statt sich um die Ordnung des Ganzen zu bemühen. Ja es kam Ulrich nach seiner unfreiwilligen Erfahrung sogar vor, daß es verzweifelt wenig Wert habe, wenn da die Gewehre, dort die Könige abgeschafft werden und irgendein kleiner oder großer Fortschritt die Dummheit und Schlechtigkeit vermindert; denn das Maß der Widerwärtigkeiten und Schlechtigkeiten wird augenblicklich wieder durch neue aufgefüllt, als glitte das eine Bein der Welt immer zurück, wenn sich das andere vorschiebt. Davon müßte man die Ursache und den Geheimmechanismus erkennen! Das wäre natürlich ungleich wichtiger, als nach veraltenden Grundsätzen ein guter Mensch zu sein, und so zog es Ulrich in der Moral mehr zum Generalstabsdienst als zum alltäglichen Heldentum des Guttuns.
Er vergegenwärtigte sich jetzt noch einmal auch die Fortsetzung seines nächtlichen Abenteuers. Denn als er nach der unglücklich verlaufenen Schlägerei wieder zu sich gekommen war, hatte ein Mietwagen nahe am Gehsteig haltgemacht, der Lenker suchte den verwundeten Fremdling an den Schultern emporzurichten, und eine Dame beugte sich mit engelhaftem Gesichtsausdruck über ihn. In solchen Augenblicken tief emporsteigenden Bewußtseins sieht man alles wie in der Welt der Kinderbücher; aber bald hatte diese Ohnmacht der Wirklichkeit Platz gemacht, die Gegenwart einer um ihn bemühten Frau blies Ulrich an, seicht und erweckend wie Kölnisch-Wasser, so daß er allsogleich auch wußte, er könne nicht viel Schaden genommen haben, und in guter Art auf die Beine zu kommen suchte. Es gelang ihm nicht gleich ganz so, wie er es wünschte, und die Dame bot sich besorgt an, ihn irgendwohin zu fahren, damit er Hilfe fände. Ulrich bat, nach Hause gebracht zu werden, und da er wahrhaftig noch verwirrt und hilflos erschien, gewährte es ihm die Dame. Im Wagen hatte er dann rasch zu sich selbst gefunden. Er fühlte etwas mütterlich Sinnliches neben sich, eine zarte Wolke von hilfsbereitem Idealismus, in deren Wärme sich jetzt die kleinen Eiskristalle des Zweifels und der Angst vor einer unüberlegten Handlung zu bilden begannen, während er wieder Mann wurde, und sie füllten die Luft mit der Weichheit eines Schneefalls. Er erzählte sein Erlebnis, und die schöne Frau, die bloß um weniges jünger als er, also vielleicht dreißig Jahre alt zu sein schien, klagte die Roheit der Menschen an und fand ihn entsetzlich bedauernswert.
Natürlich begann nun er das Geschehene lebhaft zu verteidigen und erklärte der überraschten mütterlichen Schönheit an seiner Seite, daß man solche Kampferlebnisse nicht nach dem Erfolg beurteilen dürfe. Ihr Reiz liegt auch wirklich darin, daß man in einem kleinsten Zeitraum, mit einer im bürgerlichen Leben sonst nirgendwo vorkommenden Schnelligkeit und von kaum wahrnehmbaren Zeichen geleitet, so viele, verschiedene, kraftvolle und dennoch aufs genaueste einander zugeordnete Bewegungen ausführen muß, daß es ganz unmöglich wird, sie mit dem Bewußtsein zu beaufsichtigen. Im Gegenteil, jeder Sportsmann weiß, daß man schon einige Tage vor dem Wettkampf das Training einstellen muß, und das geschieht aus keinem anderen Grund, als damit Muskeln und Nerven untereinander die letzte Verabredung treffen können, ohne daß Wille, Absicht und Bewußtsein dabei sein oder gar dareinreden dürfen. Im Augenblick der Tat sei es dann auch
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