Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)
Schleier nasser Zärtlichkeit über die Augen, wenn sie, wie sie das mit wissenschaftlichem Abstand auszudrücken pflegte, zu diesem Manne »inklinierte«.
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Ein geniales Rennpferd reift die Erkenntnis, ein Mann ohne Eigenschaften zu sein
ES IST NICHT unwesentlich, daß sich Ulrich sagen durfte, in seiner Wissenschaft nicht wenig geleistet zu haben. Seine Arbeiten hatten ihm auch Anerkennung eingebracht. Bewunderung wäre zu viel verlangt gewesen, denn selbst im Reiche der Wahrheit hegt man Bewunderung nur für ältere Gelehrte, von denen es abhängt, ob man die Habilitation und Professur erreicht oder nicht. Genau gesprochen, er war das geblieben, was man eine Hoffnung nennt, und Hoffnungen nennt man in der Republik der Geister die Republikaner, das sind jene Menschen, die sich einbilden, man dürfe seine ganze Kraft der Sache widmen, statt einen großen Teil von ihr auf das äußere Vorwärtskommen zu verwenden; sie vergessen, daß die Leistung des Einzelnen gering, das Vorwärtskommen dagegen ein Wunsch aller ist, und vernachlässigen die soziale Pflicht des Strebens, bei der man als ein Streber beginnen muß, damit man in den Jahren des Erfolgs eine Stütze und Strebe abgeben kann, an deren Gunst sich andere emporarbeiten.
Und eines Tags hörte Ulrich auch auf, eine Hoffnung sein zu wollen. Es hatte damals schon die Zeit begonnen, wo man von Genies des Fußballrasens oder des Boxrings zu sprechen anhub, aber auf mindestens zehn geniale Entdecker, Tenöre oder Schriftsteller entfiel in den Zeitungsberichten noch nicht mehr als höchstens ein genialer Centrehalf oder großer Taktiker des Tennissports. Der neue Geist fühlte sich noch nicht ganz sicher. Aber gerade da las Ulrich irgendwo, wie eine vorverwehte Sommerreife, plötzlich das Wort »das geniale Rennpferd«. Es stand in einem Bericht über einen aufsehenerregenden Rennbahnerfolg, und der Schreiber war sich der ganzen Größe des Einfalls vielleicht gar nicht bewußt gewesen, den ihm der Geist der Gemeinschaft in die Feder geschoben hatte. Ulrich aber begriff mit einemmal, in welchem unentrinnbaren Zusammenhang seine ganze Laufbahn mit diesem Genie der Rennpferde stehe. Denn das Pferd ist seit je das heilige Tier der Kavallerie gewesen, und in seiner Kasernenjugend hatte Ulrich kaum von anderem sprechen hören als von Pferden und Weibern und war dem entflohn, um ein bedeutender Mensch zu werden, und als er sich nun nach wechselvollen Anstrengungen der Höhe seiner Bestrebungen vielleicht hätte nahefühlen können, begrüßte ihn von dort das Pferd, das ihm zuvorgekommen war.
Das hat wohl gewiß zeitlich seine Berechtigung, denn es ist noch gar nicht lange her, daß man sich unter einem bewunderungswürdigen männlichen Geist ein Wesen vorgestellt hat, dessen Mut sittlicher Mut, dessen Kraft die Kraft einer Überzeugung, dessen Festigkeit die des Herzens und der Tugend gewesen ist, das Schnelligkeit für etwas Knabenhaftes, Finten für etwas Unerlaubtes, Beweglichkeit und Schwung für etwas der Würde Zuwiderlaufendes gehalten hat. Zum Schluß ist dieses Wesen allerdings nicht mehr lebendig, sondern nur noch in den Lehrkörpern von Gymnasien und in allerhand schriftlichen Äußerungen vorgekommen, es war zu einem ideologischen Gespenst geworden, und das Leben mußte sich ein neues Bild der Männlichkeit suchen. Da es sich danach umsah, machte es aber die Entdeckung, daß die Griffe und Listen, die ein erfinderischer Kopf in einem logischen Kalkül anwendet, wirklich nicht sehr verschieden von den Kampfgriffen eines hart geschulten Körpers sind, und es gibt eine allgemeine seelische Kampfkraft, die von Schwierigkeiten und Unwahrscheinlichkeiten kalt und klug gemacht wird, ob sie nun die dem Angriff zugängliche Seite einer Aufgabe oder eines körperlichen Feindes zu erraten gewohnt ist. Würde man einen großen Geist und einen Boxlandesmeister psychotechnisch analysieren, so würden in der Tat ihre Schlauheit, ihr Mut, ihre Genauigkeit und Kombinatorik sowie die Geschwindigkeit der Reaktionen auf dem Gebiet, das ihnen wichtig ist, wahrscheinlich die gleichen sein, ja sie würden sich in den Tugenden und Fähigkeiten, die ihren besonderen Erfolg ausmachen, voraussichtlich auch von einem berühmten Hürdenpferd nicht unterscheiden, denn man darf nicht unterschätzen, wieviele bedeutende Eigenschaften ins Spiel gesetzt werden, wenn man über eine Hecke springt. Nun haben aber noch dazu ein Pferd und ein Boxmeister vor einem großen Geist voraus, daß
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