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Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Titel: Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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sich ihre Leistung und Bedeutung einwandfrei messen läßt und der Beste unter ihnen auch wirklich als der Beste erkannt wird, und auf diese Weise sind der Sport und die Sachlichkeit verdientermaßen an die Reihe gekommen, die veralteten Begriffe von Genie und menschlicher Größe zu verdrängen.
    Was Ulrich angeht, muß man sogar sagen, daß er in dieser Sache seiner Zeit um einige Jahre voraus gewesen ist. Denn gerade in dieser Art, bei der man seinen Rekord um einen Sieg, einen Zentimeter oder ein Kilogramm vermehrt, hatte er die Wissenschaft betrieben. Sein Geist sollte sich als scharf und stark beweisen und hatte die Arbeit der Starken geleistet. Diese Lust an der Kraft des Geistes war eine Erwartung, ein kriegerisches Spiel, eine Art unbestimmten herrischen Anspruches an die Zukunft. Es erschien ihm ungewiß, was er mit dieser Kraft zu Ende führen werde; man konnte alles mit ihr machen und nichts, ein Erlöser der Welt werden oder ein Verbrecher. Und so ist ja wohl ungefähr auch allgemein die seelische Lage beschaffen, aus deren Vorhandensein die Welt der Maschinen und Entdeckungen immer neuen Nachschub erhält. Ulrich hatte die Wissenschaft als eine Vorbereitung, Abhärtung und Art von Training betrachtet. Wenn es sich ergab, daß dieses Denken zu trocken, scharf, eng und ohne Ausblick war, so mußte man es eben so hinnehmen wie den Ausdruck von Entbehrung und Anspannung, der bei großen Körper- und Willensleistungen auf einem Gesicht liegt. Er hatte jahrelang die geistige Entbehrung geliebt. Er haßte die Menschen, die nicht nach dem Nietzsche-Wort »um der Wahrheit willen an der Seele Hunger leiden« können; die Umkehrenden, Verzagten, Weichlichen, die ihre Seele mit Faseleien von der Seele trösten und sie, weil ihr der Verstand angeblich Steine statt Brot gibt, mit religiösen, philosophischen und erdichteten Gefühlen ernähren, die wie in Milch aufgeweichte Semmeln sind. Seine Meinung war, man befinde sich in diesem Jahrhundert mit allem Menschlichen auf einer Expedition, der Stolz verlange, daß man allem unnützen Fragen ein »Noch nicht« entgegensetze und ein Leben mit Interimsgrundsätzen, aber im Bewußtsein eines Ziels führe, das später Kommende erreichen werden. Die Wahrheit ist, daß die Wissenschaft einen Begriff der harten, nüchternen geistigen Kraft entwickelt hat, der die alten metaphysischen und moralischen Vorstellungen des Menschengeschlechtes einfach unerträglich macht, obgleich er an ihre Stelle nur die Hoffnung setzen kann, daß ein ferner Tag kommen wird, wo eine Rasse geistiger Eroberer in die Täler der seelischen Fruchtbarkeit niedersteigt.
    Das geht aber nur so lange gut, wie man nicht gezwungen wird, den Blick aus seherischer Ferne auf gegenwärtige Nähe zu richten, und den Satz lesen muß, daß inzwischen ein Rennpferd genial geworden ist. Am nächsten Morgen stand Ulrich mit dem linken Fuß auf und fischte mit dem rechten unentschlossen nach dem Morgenpantoffel. Das war in einer anderen Stadt und Straße gewesen als der, wo er jetzt wohnte, aber erst vor wenigen Wochen. Auf dem braunen Asphaltglanz unter seinen Fenstern schossen schon die Autos vorbei; die Reinheit der Morgenluft fing an, sich mit der Säuerlichkeit des Tags zu füllen, und es erschien ihm unaussprechlich unsinnig, nun in dem milchfarbenen Licht, das durch die Vorhänge fiel, damit zu beginnen, daß er wie gewöhnlich seinen nackten Körper nach vorn und hinten biege, ihn mit den Bauchmuskeln von der Erde aufhebe und wieder hinlege und schließlich die Fäuste gegen einen Boxball prasseln lasse, wie es so viele Menschen zu der gleichen Stunde tun, ehe sie in ihr Büro gehen. Eine Stunde täglich, das ist ein Zwölftel des bewußten Lebens, und sie genügt, um einen geübten Leib in dem Zustand eines Panthers zu erhalten, der jedes Abenteuers gewärtig ist; aber sie wird hingegeben für eine sinnlose Erwartung, denn niemals kommen die Abenteuer, die einer solchen Vorbereitung würdig wären. Ganz das gleiche ist mit der Liebe der Fall, auf die der Mensch in der ungeheuerlichsten Weise vorbereitet wird, und schließlich entdeckte Ulrich noch, daß er auch in der Wissenschaft einem Manne glich, der eine Bergkette nach der anderen überstiegen hat, ohne ein Ziel zu sehen. Er besaß Bruchstücke einer neuen Art zu denken wie zu fühlen, aber der anfänglich so starke Anblick des Neuen hatte sich in immer zahlreicher werdende Einzelheiten verloren, und wenn er geglaubt hatte, von der Lebensquelle zu trinken,

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