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Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition)

Titel: Der Mann ohne Eigenschaften (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Musil
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einer gemeinsamen Freundin sprach von der alten Kultur der Habsburgerstadt und ihrer Menschen, die der Arbeitsame zwischen unvermeidlichen Geschäften zu genießen hoffe; Diotima fühlte sich ausgezeichnet wie ein Schriftsteller, der zum erstenmal in die Sprache eines fremden Landes übersetzt wird, als sie daraus entnahm, daß dieser berühmte Ausländer den Ruf ihres Geistes kannte. Sie bemerkte, daß er nicht im geringsten jüdisch aussah, sondern ein vornehm bedachter Mann von phönikisch-antikem Typus war. Aber auch Arnheim wurde entzückt, als er in Diotima eine Frau antraf, die nicht nur seine Bücher gelesen hatte, sondern als eine von leichter Korpulenz bekleidete Antike auch seinem Schönheitsideal entsprach, das hellenisch war, mit einem bißchen mehr Fleisch, damit das Klassische nicht so starr ist. Es blieb Diotima bald nicht verborgen, daß der Eindruck, den sie in einem Gespräch von zwanzig Minuten Dauer auf einen Mann mit wirklichen Weltbeziehungen zu machen imstande war, gründlich alle Zweifel zerstreute, durch die ihr eigener, doch wohl in etwas veralteten diplomatischen Methoden befangener Mann ihre Bedeutung beleidigte.
    Mit sanftem Behagen wiederholte sie sich dieses Gespräch. Es hatte noch kaum begonnen, als Arnheim schon sagte, er sei in diese alte Stadt nur gekommen, um sich im Barockzauber alter österreichischer Kultur ein wenig vom Rechnen, vom Materialismus, von der öden Vernunft eines heute schaffenden Zivilisationsmenschen zu erholen.
    Es sei eine so heitere Seelenhaftigkeit in dieser Stadt – hatte Diotima erwidert, und sie war es zufrieden.
    » Ja,« hatte er gesagt »wir haben keine inneren Stimmen mehr; wir wissen heute zuviel, der Verstand tyrannisiert unser Leben.«
    Da hatte sie geantwortet: »Ich verkehre gern mit Frauen; weil sie nichts wissen und ungebrochen sind.« Und Arnheim hatte gesagt: »Trotzdem versteht eine schöne Frau weit mehr als ein Mann, der trotz Logik und Psychologie gar nichts vorn Leben weiß.« Und da hatte sie ihm nun erzählt, daß ein ähnliches Problem wie die Befreiung der Seele von der Zivilisation, nur ins Große und Staatliche projiziert, hier die maßgebenden Kreise beschäftige; »man müßte –« hatte sie gesagt, und Arnheim unterbrach sie: Das sei ganz wundervoll; »neue Ideen oder, wenn es erlaubt sei zu sagen (hier seufzte er leicht), überhaupt erst Ideen in Machtsphären zu tragen!« Und Diotima war fortgefahren: Man wolle Komitees aus allen Kreisen der Bevölkerung bilden, um diese Ideen zu ermitteln. – Aber eben da hatte Arnheim etwas ungemein Wichtiges, und in einem solchen Ton freundschaftlicher Wärme und Achtung hatte er es gesagt, daß sich die Warnung Diotima tief einprägte: Nicht leicht, hatte er ausgerufen, werde auf diese Weise etwas Großes zustandekommen; nicht eine Demokratie von Ausschüssen, sondern nur einzelne starke Menschen, mit Erfahrung sowohl in der Wirklichkeit wie im Gebiet der Ideen, würden die Aktion lenken können! –
    Bis hieher hatte sich Diotima das Gespräch wörtlich wiederholt, aber an diesem Punkt löste es sich in Glanz auf; sie konnte sich nicht mehr erinnern, was sie selbst erwidert habe. Ein unbestimmtes, spannendes Glücks- und Erwartungsgefühl hatte sie die ganze Zeit über immer höher gehoben; nun glich ihr Geist einem ausgekommenen, kleinen, bunten Kinderballon, der herrlich leuchtend hoch oben gegen die Sonne schwebt. Und im nächsten Augenblick zerplatzte er.
    Da war der großen Parallelaktion eine Idee geboren, die ihr bis dahin gefehlt hatte.

27

Wesen und Inhalt einer großen Idee
    ES WÄRE LEICHT zu sagen, worin diese Idee bestand, aber in seiner Bedeutung könnte es kein Mensch beschreiben! Denn das ist es, was eine ergreifende große Idee von einer gewöhnlichen, vielleicht sogar unbegreiflich gewöhnlichen und verkehrten unterscheidet, daß sie sich in einer Art Schmelzzustand befindet, durch den das Ich in unendliche Weiten gerät und umgekehrt die Weiten der Welt in das Ich eintreten, wobei man nicht mehr erkennen kann, was zum eigenen und was zum Unendlichen gehört. Deshalb bestehen ergreifende große Ideen aus einem Leib, welcher wie der des Menschen kompakt, aber hinfällig ist, und aus einer ewigen Seele, die ihre Bedeutung ausmacht, aber nicht kompakt ist, sondern bei jedem Versuch, sie mit kalten Worten anzufassen, sich in nichts auflöst.
    Dies vorausgeschickt, muß gesagt werden, daß Diotimas große Idee in nichts anderem bestand, als daß der Preuße Arnheim die

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