Der Memory Code
Felsgestein, aus dem Erdreich gebuddelt und irgendwie zu einem Schatz geformt, für den bisher nach Joshs Kenntnis mindestens sieben Menschen den Tod gefunden hatten.
“Ich habe gehört, dass du telefoniert hast”, bemerkte sie. “Wieso hast du Malachai angelogen?”
“Mir war nicht wohl bei dem Gedanken, dass er heute Abend womöglich noch vorbeikommt. Wenn er die Steine erst zu sehen kriegt – wer weiß, ob er sich wieder von ihnen trennen kann …”
“Du willst sie doch genauso sehr wie er, nicht wahr?”
Josh nickte.
“Und trotzdem kommst du nicht auf den Gedanken, sie mir wegzunehmen.”
“Quinn ist deine Tochter.”
“Weißt du noch, was du mir vor ihrer Entführung gesagt hast? Alles, was du wolltest, war eine Möglichkeit, zu beweisen, dass es Reinkarnation wirklich gibt. Du bist derjenige, der dachte, dass er verrückt wird, der von dem Gedanken an Wiedergeburt regelrecht besessen war! Dessen Leben aus den Fugen geraten war. Wie kannst du die Steine nur hergeben?”
Den Blick auf die Juwelen geheftet, rief er sich ins Gedächtnis zurück, wie er von ihnen erfahren hatte. Wie Rachel etwas eingefallen war, von dem sie zuvor nicht das Geringste geahnt hatte. Und wie ihrer beider Vergangenheit auf eine Weise miteinander verwoben war, die jeder Logik spottete. Hätten die Umstände des Fundes – ja, die Tatsache, dass die Juwelen existierten, an sich – nicht ein für alle Mal als Beweis reichen müssen? Schließlich hatten sich in den vergangenen vier Monaten dermaßen viele Zwischenfälle und Enthüllungen ereignet, dass kein Zweifel mehr bestand. Wieso genügte ihm das alles immer noch nicht?
Aus demselben Grunde wie Malachai oder Beryl. Ihnen reichten die Ergebnisse der Gespräche mit dreitausend Kindern auch nicht.
“Übrigens”, bemerkte er, indem er sich endlich von den funkelnden Steinen losriss und sich an Gabriella wandte, “morgen Abend um diese Zeit wirst du wieder mit deinem Töchterchen vereint sein.”
Sie schloss die Augen wie zu einem stummen Gebet. Als sie sie wieder aufschlug, senkte auch sie den Blick hinunter auf die Juwelen. “Ich will mir gar nicht vorstellen, wie das für dich gewesen sein muss, die Steine zu stehlen. Schon in Rom hätte man dich beinahe umgebracht – und trotzdem hast du dich heute wieder in Gefahr begeben.”
“Ich dachte, darüber wären wir hinweg.”
Sie drehte sich um und sah ihn geraume Zeit an. Dann beugte sie sich blitzschnell vor und küsste ihn auf die Lippen, innig zwar, aber keineswegs erotisch – ein Ausdruck der Dankbarkeit. “Ich nehme es zurück”, murmelte sie. “Das, was ich eben gesagt habe. Ich werde nämlich nie wissen, wie ich dir danken soll.”
“Das erwarte ich auch nicht von dir. Hier geht es um unheimlich viele Dinge, die ich selbst nicht ganz begreife: um Karma-Schulden, die beglichen, und Lebensentwürfe, die zu Ende gebracht werden müssen, unabhängig davon, welche Wünsche oder Sehnsüchte wir haben mögen. Du und Quinn seid ein Teil davon, aber nicht so, wie ich ursprünglich dachte. Klingt ziemlich verworren, was?” Er war verlegen. Es hörte sich an wie sentimentaler Schwachsinn, wenn er laut darüber sprach.
“Glaubst du, es besteht eine Verbindung zwischen uns, Josh?”
“Du meinst, in Bezug auf ein früheres Leben?”
“Ja.”
“Ich wollte unbedingt glauben, dass es so ist – aber nein. Selbst wenn ich bei dir bin, fühle ich immer noch ihre Gegenwart.”
Er stand auf und durchmaß das gesamte Zimmer, um möglichst viel Abstand zwischen sich und Gabriella zu legen. Es nützte nichts: Nach wie vor sah er ihre leuchtend goldenen Augen, die ihm forschend nachschauten. Noch nie zuvor hätte er zu jemandem so gern gesagt, dass die Ereignisse der Vergangenheit keine Rolle spielten, wie in diesem Moment. Dass er auch weiterleben konnte, ohne erfahren zu haben, wie die Geschichte von Julius und Sabina zu Ende ging. Dass er die namenlose, gesichtslose Frau vergessen konnte, von der er glaubte, dass sie auf ihn wartete. Dass er auch nicht weiter nach Methoden, eine Aura zu fotografieren, suchen musste. Dass er es nicht mehr nötig hatte, all diese Theorien in unwiderlegbare, schwarz-weiße Realität zu bannen.
Aber er wusste es besser.
Gestern hätte er seine Suche vielleicht noch aufgegeben.
Aber gestern war Rachel noch nicht so tief in ihr Unterbewusstsein eingetaucht.
Gestern kannte er die Geschichte von dem Gemälde und dem Rahmen noch nicht.
Gestern hatte ebendieses Bild noch nicht die
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