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Schöne Bescherung (German Edition)

Schöne Bescherung (German Edition)

Titel: Schöne Bescherung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Rankin
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Schöne Bescherung
    Sie hatten sogar einen eigenen Namen: die Holly-und-Ivy-Gang.
    Es war Debbys Idee gewesen. »Das sind unsere Decknamen.«
    Liz, ihre Mutter, war sich da nicht so sicher. »Wozu brauchen wir Decknamen? Und welche von beiden bin ich?«
    »Du bist Ivy.«
    Liz schnaubte verächtlich. »Warum darf ich nicht Holly sein?«
    »Die Namen können sie benutzen, wenn sie in den Nachrichten über uns berichten.«
    »Das meine ich ja – wir sind richtig gut, und das heißt, dass die nicht mal ansatzweise in den Nachrichten über uns berichten werden.«
    »Aber nur für den Fall …«
    »Außerdem sind wir ja nur zu zweit, streng genommen ist das noch keine ›Gang‹.«
    »Dann eben eine Bande, eine Zweierbande. Die Holly-and-Ivy-Bande …«
    Liz saß in ihrem elektrischen Rollstuhl, Debby neben ihr auf einem harten Plastikstuhl an einem Tisch in einem Fast-Food-Restaurant in der Princes Street. Debbys Stuhl war am Boden festgeschraubt, weshalb sie es sich nicht bequemer machen konnte. Sie ruhten sich ein bisschen aus. Edinburgh war keine Stadt, in der sie sich auskannten. Sie waren mit dem Zug gekommen, mit einem günstigen Ticket für außerhalb der Stoßzeiten. Liz war bei so was ganz schön gewieft. Schließlich hatte es keinen Sinn, Geld zu verdienen, wenn die Ausgaben drumrum alles wieder auffraßen.
    »Das ist die harte wirtschaftliche Realität«, hatte sie erklärt und anlässlich ihrer eigenen weisen Worte bedächtig vor sich hin genickt.
    Debby war Anfang zwanzig, Liz Mitte vierzig. Sie wohnten in einem Sozialbau am Stadtrand von Glasgow. Vor drei Jahren hatten sie in den Glasgower Einkaufsstraßen zum ersten Mal am Erfolg geschnuppert. Die Vorweihnachtszeit war die beste Zeit. Freunde steckten ihnen sogar Wunschzettel zu, woraufhin sie stets sagten: »Mal sehen, was sich machen lässt.« Die Sachen mussten bestimmten Anforderungen genügen: Elektrogeräte waren meist zu sperrig und zu gut gesichert. Häufig lief es auf Kleidung und Parfüm hinaus. Kleider und Oberteile; edle Unterwäsche; Pariser Marken. Liz im Rollstuhl, an den Griffen hingen Einkaufstüten, über den Schoß hatte sie eine Reisedecke ausgebreitet. Debby clever und mit flinken Fingern, sie hatte sogar Augen im Hinterkopf.
    Natürlich war da auch Sicherheitspersonal, aber das konnte man austricksen oder ablenken. Überwachungskameras sahen nicht immer alles. An den Klamotten waren diese Plastikdinger befestigt, aber da kam der Rollstuhl ins Spiel. Beim Verlassen des Ladens stellte sich Liz ein bisschen blöd an, knallte gegen die Sensorschranke und löste damit den Alarm aus. Debby entschuldigte sich dann, während sie gleichzeitig ihrer Mutter half, den Rollstuhl am Hindernis vorbei zu manövrieren. Das Personal zeigte sich sehr hilfsbereit, beklagte häufig auch, wie lästig die Sicherheitsmaßnahmen seien. Niemand hatte sie bislang aufgehalten oder darum gebeten, einen Blick in ihre Taschen werfen zu dürfen.
    Trotzdem gab es ein großes »Aber«. Die Nummer ließ sich nicht beliebig oft wiederholen. Würde man in denselben Laden zurückkehren und zum zweiten Mal den Alarm auslösen, würde man schon mehr Misstrauen begegnen. Deshalb hatten sie sich im letzten Jahr von Glasgow nach Dundee verlegt, und jetzt war Edinburgh dran. Princes Street: große Namen … Kaufhäuser und Modeketten … leichte Beute. Drei Geschäfte hatten sie bereits hinter sich und nach dem Burger und der Cola würden sie’s bei mindestens zwei weiteren versuchen.
    »Musst du aufs Klo?«, fragte Debby. Ihre Mutter schüttelte den Kopf. Debby war mit dem Zeug, das sie bis jetzt hatten mitgehen lassen, in die Princes Street Gardens gegangen und hatte es dort im Gebüsch versteckt. Das war immer eine Sorge: Man wusste nie, ob es am Ende des Tages noch auf einen wartete. Aber andererseits durfte man auch nicht riskieren, dass die Etiketten schon beim Betreten der anderen Läden Alarm auslösten – die Lektion hatten sie gleich bei ihrem ersten Versuch gelernt. Außerdem mussten die Tüten hinten am Rollstuhl schön leer sein, die Reisedecke durfte sich nicht wölben.
    Die nächste Anlaufstation befand sich zwanzig Meter weiter die Straße runter. Liz hatte es der Erwähnung wert befunden, dass sich die Princes Street sehr gut für Rollstühle eignete: abgeschrägte Bordsteine, hilfsbereite Passanten. Waverley Station war schon eher eine Herausforderung gewesen, so eingekeilt und abgesunken wie der Bahnhof dort lag. Trotzdem entwickelte sich der Tag gar nicht

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