Der Metzger kommt ins Paradies: Kriminalroman (German Edition)
Unvermeidlichen. Genau: Es wurde gedichtet, es wurde einmal mehr auf diesem Erdkreis ein Poet, in diesem Fall eine Poetin, von der Muse aus einem leider nicht hundertjährigen Schlaf geküsst.
Willibalds Halbschwester Sophie Widhalm verlas eine selbstverfasste Endlosballade, bemüht gereimt, humorig gemeint, folglich kein Heldenepos, an deren Ende die Worte standen:
»Gesagt sei noch zu diesem Herrn, er reist nicht gern, nicht nah, nicht fern, da hilft kein Bitten und kein Beten, da hilft nur eins, und das ist Treten.«
»Und jetzt schaust du unter Tisch«, fügte Danjela hinzu.
Es folgte ein Anheben des Tischtuchs, das zum Vorscheinkommen eines seltsamen Metallgestells, Applaus und Gelächter auf der einen Seite, Erstarrung, ja, Angst auf Seiten des Metzgers führte: »W-, w-, was bitte soll das sein, ein Kinderwagen? Danjela! Weiß ich da etwas nicht?«
Die Antwort aller war eindeutig: »Bau es schon endlich zusammen, geht erfreulich schnell!«
Erfreulich schnell stimmte, was der Metzger dann aber vor sich stehen hatte, stimmte ihn recht schnell alles andere als erfreut. Nun verstand er es, dieses auf Beten gereimte Treten.
»Ein Klapprad! Ich, ich, ich – dank euch so«, rang er sich ab. Er, den sportliche Bewegung aller Art ähnlich euphorisierte, als müsste er im städtischen Zoo bei Minusgraden in der Unterhose den Teich des Eisbär-Freigeheges durchwaten. Als Antwort erhielt er ein großherziges, von allen Seiten inhaltlich übereinstimmendes: »Ach, ist doch nur eine Kleinigkeit, ein Symbol, beizeiten folgt Würdigeres!«
Diesbezüglich aber war er sich absolut sicher, eine derartige Verzögerungs-Geschenks-Ankündigung wäre ähnlich ernst zu nehmen wie die Vorhersage schmieriger, feindseliger Rechtsradikaler, Bundeskanzler werden zu wollen. Nur hat er da leider auf eine der vielen weisen Worte seiner Mutter vergessen: »Glaub mir, Willibald, hierzulande ist alles möglich!«
Und recht hat sie, die werte Frau Mama, Gott hab sie selig, dermaßen viel Fantasie kann ein Menschenhirn nämlich gar nicht aufbringen, um es mit dem Irrsinn namens Wirklichkeit aufnehmen zu können.
Und so stand er etwa ein halbes Jahr nach seinem Geburtstag, sprich vor drei Tagen, geweckt, entführt und unglücklich in einem Zugabteil.
Danjela sprühte nur so vor Freude und erklärte: »Stimmt schon, ist Geburtstag zwar lang vorbei, aber haben wir doch versprochen, kommt noch Nachschlag – also, freust du dich: ist Sammelgeschenk!«
Regungslos starrte der Metzger dem mittlerweile ausgestiegenen, reuig durch die Scheibe hereinblickenden Petar Wollnar ins Gesicht und wusste: Der im Winter zum Geburtstag vorgetragene Reim vom Treten hat nichts mit dem bis dato unbenutzten Klapprad zu tun, sondern bedeutet einzig die Vorankündigung einer im Sommer, sprich jetzt, zur Anwendung gebrachten indirekten körperlichen Gewalt.
Dieses Sammelgeschenk also heißt: Es wurde zusammengelegt, von all seinen Freunden, was gleichbedeutend ist mit: Er wurde, von all seinen Freunden zusammengelegt, schändlich hintergangen zum Zwecke der Freude des Einzelnen. Und dieser Einzelne ist bei vorhandener Paarbeziehung nicht zwangsweise der Beschenkte selbst, sondern möglicherweise der Ideenspender und Geldeintreiber höchstpersönlich, in diesem Fall der eigene Partner.
»Ich nehme an, wir steigen nicht gleich wieder aus?«, entkam es dem Metzger mit blasser Miene.
»Schaust du in Spiegel, siehst du, was hast du für schlechte Gesichtsfarbe, sag ich dir, brauchst du endlich echte Urlaub!«, war die klare Antwort, auch wenn der Metzger mit absoluter Sicherheit wusste: Dieses »du« muss ein »ich« sein. Seit Wochen bewirbt Madame Djurkovic nichts anderes als ihren Traum von Sonne, Sand und mehr Zeit allein mit ihrem Willibald: »Hab ich große Sehnsucht nach Turteltaubentrip in sonnige Süden«, war ihre Erklärung.
»Turteltauben, die in der Hitze braten? Klingt nach Grillhuhn, das gibt es daheim auch, und zwar in tipptopp Qualität. Außerdem, in ein Flugzeug bekommst du mich in diesem Leben garantiert nicht!«, war die nicht unbedingt romantische Antwort eines Ahnungslosen. Der Mensch ist eben kein Vogel. Die Welt von oben zu betrachten kann ja recht nett sein, aber woanders herunterzukommen, als man hinaufgestiegen ist, ist entweder Science-Fiction oder der Tritt über die letzte Sprosse einer Karriereleiter.
Fassungslos stand Willibald Adrian Metzger mit Blick auf das sich langsam entfernende Gleis 7 neben einer glückerfüllten
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