Der Metzger kommt ins Paradies: Kriminalroman (German Edition)
und irgendein Ufer des Ägäischen, Balearischen, Tyrrhenischen oder Ligurischen Meeres anpeilen, dazu reicht sie völlig, die Reise an die Adria.
»Du weißt doch, so etwas wie hier ist für mich der reinste Alptraum! Warum keine Stadt besichtigen oder irgendwas Kulturelles?«, setzt der Restaurator fort.
Ungewohnt missmutig ist sein Ton. Ja, er ist sauer, stinksauer, auf seine Herzdame, auf alle seine Freunde, auf den ein Stück näher gerückten Äquator und auf sich. Das ist eben der Teufelskreis eines Grantlers: Zuerst mag er die andern nicht, dann mag er sich nicht, dann mögen ihn die andern nicht, und diese andern mag er dann erst recht nicht, Ende nie.
Danjela deutet um sich, lächelt, senkt zögernd die Spritzpistole und reicht ihm versöhnlich die Hand: »Bist du jetzt keine Spielverderber. Komm, gehen wir wenigstens so wie jede andere Urlaubsgast gemütlich in frische Wasser.«
»Frisch!«, wiederholt der Metzger zynisch. »Was bitte soll daran frisch sein?«
Ja, es ist eine wahrlich gutbesuchte Erfrischung, wie er seit seiner Ankunft beobachten darf: Reihenweise erhebt sich ein Urlauber nach dem anderen aus seinem Liegestuhl, watet bis zum Nabel in die Tiefen des Meers, offenbar nicht um diesen von Sandablagerung zu reinigen, schaut ein Weilchen beglückt in der Gegend herum, greift sich dann kurz zwischen die Beine und verlässt es wieder, das Salzwasser. Von wegen schwimmen oder planschen, pischen gehen die Leut, da ist er überzeugt, der Metzger. Ist ja auch ein gewaltiges Stückchen bis zur nächsten als solche ausgewiesenen Toilettenanlage. Warum also das eine nicht uneingeschränkt mit dem anderen verbinden, all inclusive eben. Keine zehn Pferde bringen ihn hinein in dieses überbevölkerte Gemeinschaftsurinal.
Ein wenig lässt ihm Danjela Djurkovic noch Zeit, bleibt vor ihm stehen, sucht fragend in seinen Augen nach dem liebevollen, dem rettenden Funken Humor, vergeblich.
»Danjela, bitte, ich will einfach nicht, versteh das doch«, erklärt der Metzger schließlich, und es klingt endgültig.
Der Unterschied ist eben lächerlich, nur ein Hauch, ein leichtes Verstärken des zwischen den Zähnen herausgeschnellten Lüftchens, und aus »reisen« wird »reißen«, aus einem in den Urlaub aufgebrochenen Langzeitpärchen werden heimgekehrt zwei getrennte Haushalte.
»Alles klar«, erwidert Danjela mit ernster Miene, die deshalb an Wirkung kaum zu überbieten ist, weil sie mit glasigen Augen einhergeht. Gekränkt und den Tränen nahe, richtet sie sich auf, erklärt: »Lass ich dir also deine Ruhe«, würdigt den so reich Beschenkten keines weiteren Blickes mehr, steuert genau jenes stellenweise handwarme Nass an, weshalb der ganze Aufwand hier betrieben wird, und spaziert im knöchelhohen Wasser den Strand hinunter.
»Ruhe«, flüstert der Metzger in sich hinein: »Wo bitte ist hier Ruhe?«
So weit das Auge reicht, stehen sie, angetreten in Reih und Glied, die vollbesetzten Legionen an Liegestühlen. Wie ein in Schlachtaufstellung befohlenes römisches Heer, bereit, eine anrollende Seemacht aufzuhalten, liegen die Urlauber geordnet der Adria gegenüber. Gut, von der Gefahr des Ertrinkens jetzt einmal abgesehen, tödliche Bedrohung nähert sich aus dem Mittelmeer mittlerweile keine mehr, außer natürlich man verschluckt beim Schwimmen einen Brocken Plastikmüll.
Von Ruhe kann hier folglich nicht die Rede sein, auch weil es ganze Sippschaften sind, die diese Destination zwecks Urlaubens auserkoren haben.
Und weil hier alles möglich ist, von Camping bis Wellness, von Substandard bis nobel, und trotzdem jeder denselben Strand und dasselbe Meer bekommt,
und weil unabhängig von der Behausung im Prinzip herrlich eine Woche lang mit nur einer Hose und zwei Leibchen das Auslangen zu finden ist,
und weil es hier genau das zu futtern gibt, was die Kinder auch zu Hause auf den Tisch bekommen,
und weil es hier eine große Sandkiste gibt, in der nicht so wie daheim im Park reihenweise die Hunde ihre Haufen hinterlassen,
und weil es hier ein großes Planschbecken gibt, das nicht extra erst eingelassen oder bei zu hoher urinbedingter Trübe gewechselt werden muss,
und weil das hier alles so schön und vor allem so schön mit dem Auto zu erreichen ist,
liegt unter dem einen Schirm zum Beispiel die Familie Neumann und daneben gleich die Familie Kappichler, dann die Familien Becker, Müller und Schmidt, daneben die Familien Stadlbauer, Baumgartner und Maurer, dazwischen vielleicht die Familie Donato,
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