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Der Metzger sieht rot

Der Metzger sieht rot

Titel: Der Metzger sieht rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raab
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starke Hautreizungen und Allergien, sogar Asthma hervorrufen können. Lustige kleine Freunde sind das, ein bisserl wie die Menschen oder die öffentliche Meinung, in reihenförmigen Kolonnen wandern sie umher und verlieren dabei Teile ihres giftigen Pelzes, und weil allein eine von ihnen an die 600 000 Härchen mit sich herumträgt, kommt da also schon ordentlich was zusammen.
    Linkes Auge Owuso, rechtes Auge Prozessionsraupe, linkes Auge unzählige Vereinsnamen, rechtes Auge reihenförmige Kolonnen, linkes Auge Ende des Owuso-Spielerporträts, rechtes Auge 600 000 giftige Härchen. Beide Augen vereint in das hypnotische Grauweiß des Zeitungsfalzes, Blick ins Leere, geistiges Fernsehen an. Owuso tot, giftige Härchen, Owuso tot, Gift?
    Den Metzger reißt es hoch, geistiges Fernsehen auf Großbildschirm, noch einmal zieht der Abend an ihm vorüber, noch einmal der blasse, aus der Kabine kommende Kwabena Owuso samt frenetischem Applaus und seiner unglücklichen Ausstrahlung. Da geht einer als Held in die Pause und kommt nach diesem galaktischen, durch die eigene Leistung hervorgerufenen Meinungsumschwung nicht strahlend und stolz zurück aufs Spielfeld? Da wäre der Metzger schon gerne in der Kabine dabei gewesen, um einen Eindruck davon zu bekommen, was den Kwabena Owuso so schlecht hat aussehen lassen.
    Nach der Heftigkeit der Gesänge im Stadion vor der Pause zieht da auf dem inneren Bildschirm des Willibald Adrian zögernd der Gedanke vorbei, dass so ein Ausländer im Tor jene Inländer, die auf die gegenwärtig von Seiten der Politik salonfähig gemachte Sozialkultur besonders erigiert ansprechen, schon auf die Idee bringen könnte, Schlachtrufe wie „Schickt’s den Bimbo dorthin, wo’s dunkel ist, weu da fühlt er sich z’haus!“ in die Tat umzusetzen.
    Wenn der Metzger von Bus oder Straßenbahn bei seinen Fahrten durch die Stadt an Plakaten vorbeichauffiert wird, die die Menschen in die Gruppen der „Hier-sein-Sollenden“, der „Hier-sein-Wollenden-aber-nicht-Dürfenden“ und der „Hier-sein-Dürfenden-aber-nicht-Gewollten!“ teilen, weiß er nie so recht, wo er eigentlich dazugehört.
    Weil gerade in Anbetracht dieser sozialen Luftverpestung fehlt die Kategorie, der er sich selbst zuordnen würde, der „Nicht-Hier-sein-Wollenden-aber-Dürfenden!“ Und da dieser flächenbrandartige Stimmungswandel der momentanen gesellschaftlichen Vorstellung von Zusammenleben keinen Halt vor irgendeiner Art von Grenze macht, ist das Verlassen des „eigenen“ Landes keine gute Alternative. Denn jenseits des Limes gehört man, so schnell kann man gar nicht schauen, der Gruppe der „Hier-sein-Wollenden-aber-nicht-Dürfenden“ an. Und wenn man dann wieder zurückkommt, so schnell kann man gar nicht akzentfrei „äh“ sagen, ist man zwar daheim, aber trotzdem ein „Hier-sein-Dürfender-aber-nicht-Gewollter!“
    So ist der halbwegs vernünftig denkende Mensch heutzutage nirgendwo zuhause, während die übrigen Primaten sich eine Heimat aufbauen, die sie sich in absehbarer Zeit ohnedies gegenseitig ausräuchern, das ist so sicher wie das Amen im Gebet – und genau das werden dann wieder alle brauchen. Zumindest etwas Verbindendes.
    Willibald Adrian Metzger schlägt sich mit der Handfläche an den Kopf, dass es nur so klatscht. Kann ja nicht sein, dass du jetzt den Verfolgungswahn bekommst, nur weil dir in den letzten Monaten unfreiwillig ein Bein in Richtung Kriminal gestellt wurde. Geh schlafen, Willibald, denkt sich der Metzger und befreit sich aus der Eigendynamik seiner Gedanken, schlurft ins Bad zwecks Abendtoilette, die abermals etwas kürzer als gewöhnlich ausfällt, und kämpft im Bett mit der Vorstellung, eine Kolonne Prozessionsraupen würde kratzend in seinem Rachen ihre Kreise ziehen.

7
    An dem Tag, an dem ihre Mutter nach diesem kurzen Läuten die Tür geöffnet hatte, lief im Fernsehen gerade der Wetterbericht und kündigte schweren Hagel an. Durch die offene Wohnzimmertür konnte sie vom Lederecksofa aus direkt zum Eingang sehen. Noch nie hatten sie mit der Polizei zu tun gehabt. Dieser Besuch war dann auch der Einzige, zumindest während der kurzen Zeit, die sie danach noch in dieser Siedlung verbrachte. Alles wurde anders danach.
    Während sie vor diesem Besuch nicht wirklich wusste, was und wohin, wusste sie wenigstens, dass all das, was manche von oben herab als Klischee bezeichnen, genau ihrer Wirklichkeit entsprach. „Klischee“, ein Begriff als Synonym für die Realitätsverweigerung

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