Der Mond ist nicht allein (H´Veredy Chroniken) (German Edition)
spärliches Wissen untereinander auszutauschen. Bisher hatte bei all ihren Sachgesprächen untereinander das Thema ´Herstellung einer guten Ausrüstung´ im Vordergrund gestanden. Jetzt ging es vornehmlich um Gletscherspalten, Erfrierungen, Unterkühlungen und dergleichen. Erik war längere Zeit damit bemüht, den beiden Chefinnen zu erklären, was die Ausrüstung seiner Ansicht nach genau leisten konnte und was nicht. Er musste feststellen, dass manchmal nicht mal Katja ihn im Einzelnen verstehen konnte. Katja zog Frau Pilcher hinzu. Die alte Frau war zwar noch sichtlich erschlagen von dem Training und hatte sich erst mal hinlegen müssen. Jetzt erwies sie sich als ausgesprochen nützlich, da sie im Gegensatz zu Erik nicht nur die Technik verstand, sondern ihr Wissen auch vermitteln konnte.
Mitten in eine Erörterung über Schneeschuhe platzte der Kapitän herein: „Entschuldige Katja, ich glaube ich muss das jetzt gleich loswerden …“
Lena runzelte die Stirn und Emily Pilcher grinste breit, was für Erik etwas dümmlich wirkte.
Komisch, das sieht Katja gar nicht ähnlich, so eine Disziplinlosigkeit zuzulassen. Das fällt sogar mir auf und Lena findet es wohl auch seltsam, dachte Erik.
Doch Svens folgende Ausführungen verhinderten alle weiteren Gedanken über Katjas ungewöhnliche Laxheit: „Es ist jetzt seit 26, eher 27 Stunden richtig hell“, erklärte der Kapitän. „Irgendwann muss es eine Dämmerung gegeben haben, die so subtil war, dass sie uns nicht aufgefallen ist. Die Sonne steht also dauernd hoch. Das beweist ganz klar, dass wir nicht nur in der Antarktis sind, sondern in Polnähe! Außerdem habe ich festgestellt, dass die Kompassnadel nicht richtungsstabil ist. Das ist noch viel aussagekräftiger. Es sagt uns, dass wir derzeit ziemlich genau am Magnetpol sein müssen. Der liegt seit einigen Jahren ebenfalls näherungsweise am geografischen Südpol, auch wenn er das historisch gesehen selten tut. Die nächste Nacht wird erst in einigen Monaten losgehen. Und dann wird sie ein halbes Jahr lang dauern!“
Bestürzung zeichnete sich auf den Gesichtern ab. Es folgte ein Moment betretenen Schweigens. Erik fühlte Übelkeit in sich aufsteigen.
„Scheiße, dann müssen wir ja tausende Kilometer laufen, bevor wir ans Meer kommen! Das können wir unmöglich alle schaffen!“, entfuhr es Lena, die wegen ihrer Gehirnerschütterung schon bei der vorausgegangenen Übung mehrfach hatte pausieren müssen, um ihre Schwindelanfälle zu überwinden.
Eigentlich waren Aussagen im Sinne von „wir können es nicht schaffen“, oder „wir haben keine Chance“, tabu. Darauf hatten Lena und Katja bisher bei sich selbst peinlich genau geachtet. Entschlüpfte einem ihrer Freunde etwas in dieser Richtung, wurde er im freundlichen, aber bestimmten Einzelgespräch darauf hingewiesen, wie destruktiv so etwas war. Erik war das selbst nicht passiert, aber Alf hatte, in einem Moment, in dem wieder einmal nichts richtig zu funktionieren schien, diesen Fehler gemacht. Nach dem folgenden Gespräch hatte er sich bei Erik für seine demoralisierende Aussage entschuldigt. Dann hatten sie weiter diskutiert, wie man aus Schlitten (Eriks Domäne) und Zeltbahnen (Alfs Verantwortung) am effektivsten einen festeren Lagerplatz gestalten konnte. Jetzt schaute Lena nicht nur weiter entsetzt drein, sondern auch noch zerknirscht wegen ihres dummen Ausrutschers.
Vielleicht gibt es da noch eine Möglichkeit.
„Am Südpol gibt es eine internationale Forschungsstation. Da sollten wir hingehen, wenn wir sowieso schon fast da sind“, platzte Erik heraus.
Doch Sven hatte Einwände: ohne eine genaue Möglichkeit der Navigation nach einer Station zu suchen, die in beliebiger Richtung Tages- bis Wochenmärsche entfernt sein könne, sei noch waghalsiger, als zum Meer zu laufen.
Eine heftige, zunehmend emotionale Diskussion entbrannte über diese Frage. Ich hasse so was, dachte Erik hilflos. Ich weiß auch einiges dazu, aber mit diesem ganzen Dafür und Dagegen komme ich nicht zurecht. Wenn ich jetzt den Mund aufmache, sage ich bestimmt Lena, dass sie totalen Quatsch labert und übersehe irgendwas Psychologisches. Dann sind plötzlich alle gegen mich und es hört mir keiner zu. Na ja, eigentlich weiß ich sowieso nicht, was die beste Lösung ist. Alle Anderen tun aber so als wären sie sicher.
Da das Cockpit als Besprechungsraum fungierte, war der Ausblick, wenngleich wegen der Lawine und infolge leichter Schneefälle die Frontscheibe nicht
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