Der Mord des Jahrhunderts - Collins, P: Mord des Jahrhunderts
genommen: Bertillon hielt nichts von derartig ungenauen neuen Methoden. Ein paar Wochen zuvor hatte der Generalgouverneur in Indien ein neues System eingeführt, das von einem seiner eigenen Verwaltungsbeamten entwickelt worden war und bei dem Windungen und Schleifen festgehalten wurden, doch weder O’Brien noch sonst jemand in den Vereinigten Staaten gab etwas auf solch exotische Ideen. Ref 375 Ref 376 Ref 377 Ref 378 Ref 379
Stattdessen arbeitete der Inspector ruhig an seinem Schreibtisch, sprach über Stunden kein einziges Wort und ließ seinen Verdächtigen zufrieden im Ungewissen schmoren. Die Uhr schlug elf, dann Mitternacht. Thorn betrachtete den Stapel Briefe, der auf O’Briens Tisch lag, alle in Gussies Wohnung sichergestellt. In einer Ecke des Raumes lag noch immer das Ungetüm von nutzloser Zinnwanne. Ref 380 Ref 381
Nun, begann der Inspector: Warum hatte er seinen Bart abgenommen?
Thorn starrte ihn mürrisch an. Er hatte ihn sich vergangenen Mittwoch abrasiert – dem Tag also, an dem Gussie verhaftet worden war –, aber er wollte nicht sagen, warum. Als er aufgefordert wurde, sich zu den Vorfällen zu äußern, hielt er eine sorgfältig einstudierte Rede.
»Ich wohne derzeit in einem möblierten Zimmer in der East Twenty-Fifth Street, Nummer 235. Ich habe William Guldensuppe nicht mehr gesehen, seit er mich in Mrs Nacks Wohnung angegriffen hat«, behauptete er. »Seitdem treffe ich mich zweibis dreimal in der Woche mit ihr, zuletzt Dienstagabend. Mrs Nack sprach davon, Guldensuppe zu verlassen und mir einen Friseursalon auf dem Land zu kaufen. Sie erzählte, dass Guldensuppe sie in den letzten sechs Monaten schlecht behandelt habe und dass er wolle, dass sie ein Bordell eröffne. Sie willigte ein, ihn zu verlassen und mit mir zusammenzuleben.« Ref 382
Sie planten weiter ihre gemeinsame Zukunft, erläuterte Thorn, als er sie am 29. Juni, dem Abend vor ihrer Verhaftung, das letzte Mal sah.
»Wir haben in der Forty-Third Street eine Kutsche genommen und sind die Eighth Avenue hinauf zum Central Park gefahren. Dort haben wir uns auf eine Bank gesetzt und bis etwa elf Uhr geredet. Ich erzählte ihr, dass ich in der Zeitung über einen Leichenfund im Fluss gelesen hatte und es dort hieß, es handle sich um Guldensuppe. Und ich erzählte ihr, dass es außerdem hieß, Teile des Toten seien gekocht worden, bevor sie in den Fluss geworfen wurden.«
O’Brien beobachtete ihn konzentriert.
»Sie sagte«, fuhr Thorn fort, »dass sie nicht glaube, dass es Guldensuppes Leiche sei, da sie nicht glaube, dass Guldensuppe tot sei. Sie erzählte mir, dass er seit Freitagmorgen nicht mehr zu Hause gewesen sei und dass sie nicht wisse, wo er sich aufhielt. Wir verabredeten uns für den nächsten Tag – Mittwoch – , und Mrs Nack ging nach Hause. Als ich dann am
nächsten Morgen in der Zeitung las, dass Mrs Nacks Wohnung durchsucht wird, ging ich nicht zu ihr.«
Der Inspector ließ eine seiner langen, unangenehmen Pausen eintreten. Das Alibi gefiel ihm. Die Zeiten stimmten nicht: Sie konnten an diesem Abend auf der Parkbank nicht über Guldensuppes Identifizierung gesprochen haben, da dieses Detail erst am kommenden Morgen enthüllt worden war. Und er hatte eine noch unangenehmere Überraschung für seinen Verdächtigen.
»Leugnen Sie«, bedrängte er ihn, »dass Sie Dienstagmorgen, Dienstagnachmittag und Dienstagabend in Frey’s Saloon in der East Thirty-Fourth Street waren und mit ›Peanuts‹ und Federer Karten gespielt haben?«
»Leugnen nicht gerade.«
»Erinnern Sie sich, am Dienstag, dem 29. Juni, in Frey’s Saloon gewesen zu sein, während Federer in der Zeitung von der Belohnung über 1000 Dollar las, und wie Federer zu Ihnen sagte: ›Die reden wohl von dir, Friseur‹, und Sie sagten: ›Ja, ganz recht.‹?« Thorn blickte durch O’Briens Fenster hinaus in die dunkle Nacht. Die ganze Stadt schlief, bis auf sie beide.
»Ja«, gab er zu.
»Erinnern Sie sich, am Dienstag, dem 29. Juni, im Saloon gewesen zu sein, dann wieder gegangen und später zusammen mit einer Frau zurückgekommen zu sein und ein Glas Bier mit ihr getrunken zu haben?«
»Ja.«
O’Brien machte eine Pause und holte zu seinem vernichtenden Schlag aus.
»Erinnern Sie sich, am Dienstagabend, dem 29. Juni, in Frey’s Saloon gewesen zu sein und Federer erzählt zu haben, dass Sie sich mit einer Frau treffen würden und dass es eine Sache auf Leben und Tod sei, und dass Sie ihm eine Pistole gezeigt haben?«
»Daran kann ich
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