038 - Bis die Ratten dich zerfetzen
Kalter
Angstschweiß perlte auf seiner Stirn. Mit letzter Kraft versuchte Burton, sich
an der glitschigen Wand emporzuziehen. Seine Finger rutschten ab und fanden
keinen Halt.
Jetzt kamen
sie.
Deutlich hörte
er sie...
Panik ergriff
Burton.
In seinen
Augen flackerte der Wahnsinn, als er mit hastigem Schütteln versuchte, den
Schädling loszuwerden. Aber die spitzen Zähne, die sich in sein Fleisch gebohrt
hatten, lösten sich nicht.
Burton
umfaßte den Hals des Nagers. Hart drehte er den Kopf des Tieres herum. Deutlich
hörte er das Knacken der Halswirbel. Doch selbst im Tod ließ die Ratte nicht
locker. Wie Widerhaken hingen ihre Zähne in seinem Fleisch.
Der Boden um
ihn herum wurde zu einer einzigen brodelnden Masse. Alles war mit Leben
erfüllt. Das Pfeifen und Quietschen der Schädlinge verstärkte sich. Und dann
hingen sie an ihm. Sie krochen an seinem bebenden, kraftlosen K ö rper empor.
Ein gellender
Schrei kam über seine blassen Lippen, und in seinen Mundwinkeln bildete sich
blasiger Schaum. Er wurde von den unheimlichen Nagern zu Boden gezogen.
Es gelang
ihm, noch zwei, drei Ratten abzuschütteln, einer vierten den Hals zu brechen,
doch dann war seine letzte Widerstandskraft erschöpft, und es war unmöglich,
gegen diesen Strom des Grauens anzuschwimmen.
Zu viele
waren es, die auf ihn gehetzt wurden.
Warm lief das
Blut über sein Gesicht und mischte sich mit dem Schweiß. Es gelang ihm, seine
Arme aus dem Berg der dunklen, sich wie eine Welle über ihn ergießenden Körper
herauszustrecken, und es sah so aus, als wolle er den Ratten beweisen, daß er
ihnen doch überlegen war.
Die Legende
vom Herrn der Ratten blieb weiterhin unbestätigt.
Der
Geheimnisvolle hatte wie ein General im Hintergrund seine Soldaten nach vorn
geschickt, um Burtons Vordringen zu stoppen.
Der
Australier merkte nicht mehr, wie die Schädlinge ihm endgültig den Garaus
machten. Der Blutverlust war schon so groß, daß er vor Schwäche keine Schmerzen
und keine Angst mehr empfand. Sein Bewußtsein schaltete ab, und tiefe
Dunkelheit umfing ihn, aus der es keine Rückkehr mehr gab.
Dann fraßen
ihn die Ratten ...
●
Als Helen
Powell erwachte, fiel ihr Blick nicht wie gewohnt auf die Uhr, sondern zuerst
auf den Kalender.
Heute war der
27. Ein beachtenswertes Datum. Für sie zumindest. Vor genau vier Wochen hatte
Ted Burton Melbourne verlassen. Er hatte sie darum gebeten, an diesem Tag,
nämlich heute, ein Schließfach auf dem Bahnhof zu öffnen.
Burton war
ein Kollege der hübschen Australierin, ein Mann, der mit Reporterblut in den
Adern zur Welt gekommen sein mußte. Ted Burton hatte die seltene Gabe, eine
Spürnase für gewisse Dinge zu haben. Die interessantesten, absonderlichsten und
ungewöhnlichsten Berichte in Weekly News stammten aus
seiner Feder.
Helen Powell,
mit Burton befreundet, war vierundzwanzig und damit zehn Jahre jünger als
Burton. Sie hatte viel bei ihm gelernt, und in den letzten Monaten hatte man
das Paar eigentlich nur noch zusammen gesehen.
Obwohl Helen
in dieser Zeit ständig auf Tuchfühlung mit Burton gewesen war, erfuhr sie so
gut wie nichts über seine Pläne.
Burton liebte
Überraschungen. So war es nicht verwunderlich, daß sie eines Morgens im Hotel
auf ihrem Nachttisch einen Brief vorfand, in dem stand:
Bin abgeflogen. Glaube, einer einzigartigen Sache auf der Spur zu
sein. Sollte ich mich innerhalb von vier Wochen nicht bei Dir gemeldet haben,
mußt Du Dir aus meinem Spind in der Redaktion die Schlüssel holen. Im
Schließfach findest Du dann einen Brief.
Gruß, Ted
Das war
typisch für ihn. Helen Powell hatte sich zunächst geärgert. Aber dann waren dem
Groll Interesse und Aufmerksamkeit gefolgt. Sie glaubte, Ted Burton lange und
gut genug zu kennen, um zu wissen, daß er nicht leichtfertig handelte. Er
wollte sich über eine Sache erst Gewißheit verschaffen, ehe er darüber sprach
und schrieb.
Die letzten
Wochen seit der Abreise Burtons kamen ihr jetzt, in der Rückschau, wie ein
Traum vor. Die Zeit schien stillgestanden zu haben. Helen Powell konnte sich
nicht daran erinnern, jemals ein Datum so sehr herbeigesehnt zu haben wie den
27.
Helen war eine
notorische Langschläferin und kam normalerweise kaum vor neun aus den Federn.
Aber heute hielt nichts mehr sie länger im Bett, obwohl die Zeiger der Uhr noch
nicht einmal ganz auf Sieben standen.
Helen
streifte das durchsichtige Babydoll ab und ging ins
Bad. Sie stellte sich zwei Minuten lang unter die
Weitere Kostenlose Bücher