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Der müde Bulle

Der müde Bulle

Titel: Der müde Bulle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Wambaugh
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Windschutzscheibe und heizte den Sitz unerträglich auf. Ich fuhr schon seit sechs Monaten denselben Schwarzweißen und hatte mir im Lauf der Zeit eine richtig schön bequeme Kuhle in das Sitzpolster gesessen, so daß ich mir wie in einem lang vertrauten, eingerittenen Sattel vorkam. Und mit einem Gewicht von zwei Zentner zwanzig ist es ja schließlich auch keine Kunst, ein paar Sitzfedern ein bißchen zum Nachgeben zu zwingen.
    Ich fuhr also zu Seymour's, und als ich davor hielt, sah ich auf der anderen Seite der Fourth Street auf dem Parkplatz hinter dem Pink Dragon zwei Männer. Ich beobachtete sie etwa eine halbe Minute lang, und sie erweckten den Anschein, als heckten sie irgend etwas aus, vermutlich ein kleines Drogengeschäft. Selbst nach zwanzig Jahren hat dieses Gefühl noch nicht seinen Reiz verloren, das jeden Polizisten überkommt, wenn ihm etwas auffällt, was einem normalen Sterblichen einfach entgehen würde. Aber was nützte mir das schon? Ganz gleich, wann ich die Main Street hinunterfuhr, würde es da irgendwelche Junkies, Ganoven und sonstige Galgenvögel zu sehen geben.
    Und sollte ich dann sechs oder acht Stunden kostbarer Zeit an diese kleinen Fische verschwenden, um am Ende doch mit leeren Händen dazustehen? Die Zeit reichte nur aus, sich um die hundertprozentigen Fälle zu kümmern. Den Rest beobachtete man dabei nur aus dem Augenwinkel und merkte sich die Gesichter.
    Die zwei auf dem Parkplatz interessierten mich, und ich beschloß sie eine Weile zu beobachten. Es waren zwei dumpfe, abgewrackte Giftler. Sie hätten mich schon längst bemerken müssen. Als ich noch jünger war, hatte ich es immer auf die ehrliche Tour probiert. Inzwischen hatte ich mir das allerdings so gut wie ganz abgewöhnt. Im Grunde ist das Problem ganz einfach zu erklären: Ich muß einem imaginären Richter in schwarzer Robe (Euer Ehren) erklären, woher Officer William A. Morgan wissen kann, daß diese Männer einen kriminellen Akt begehen. Wenn der Richter dann findet, daß ich nicht genügend berechtigte Gründe hatte, meinen Mann anzuhalten und zu durchsuchen, habe ich ausgespielt. Ungerechtfertigtes Festhalten und Durchsuchen – Fall erledigt.
    Inzwischen komme ich mit diesem Spielchen ganz gut zurecht – ganz gleich, ob es sich auf der imaginären oder der realen Ebene abspielt. Mein Auftreten vor Gericht muß recht beeindruckend sein. Für so einen alten Polizisten kann ich mich recht gut ausdrücken, hat man mir gesagt. Außerdem wirke ich wie ein ehrlicher Einfaltspinsel, der mit seinen unschuldigen blauen Augen kein Wässerchen trüben zu können scheint. Die Geschworenen waren immer regelrecht vernarrt in mich.
    Es ist sehr schwer, dieses untrügliche ›Gefühl‹ zu erklären. Manche schaffen das nie. Ich fange also einfach an, ich wüßte, diese Typen wären gerade dabei, ein Geschäft abzuwickeln, und zwar aufgrund – der Kleidung. Das ist ein guter Anfang. Es ist ein stickig heißer Tag, Euer Ehren, und der größere von den beiden trägt ein langärmeliges Hemd, das am Handgelenk auch noch sauber zugeknöpft ist. Natürlich, um seine Nadeleinstiche zu verbergen. Und der andere trägt immer noch diese Schuhe, aus denen eindeutig ersichtlich wird, daß er eben aus einem Staatsgefängnis entlassen worden ist. Und der andere – so ein ungesundes, bleiches Aussehen kriegt man selbstverständlich nur im Knast – in San Quentin oder vielleicht auch in Folsom. Der war lange weg vom Fenster. Und dann würde ich noch herausfinden, daß die beiden eben aus dem Pink Dragon gekommen waren – einem Schuppen, in den außer Nutten, Dealern, Junkies und irgendwelchen kleinen Ganoven kein Mensch seinen Fuß setzen würde. All das würde ich natürlich auch meinem Richter erklären, der mich freilich über kurz oder lang zum Schweigen bringen würde, sobald ich zu subtileren Ausführungen überginge. Meinem imaginären Rechtspfleger konnte ich dieses instinktive Wissen erklären – diesen Zustand, in dem man wie ein Tier spürt, was los ist, ohne es erklären zu können. In der Realität begriff jedoch so ein Richter nie, daß man einfach spürt, worum's geht, und daß man sich seiner Sache absolut sicher ist. Versuch das mal einem Richter klarzumachen, dachte ich. Versuch das einmal zu erklären.
    Gerade in diesem Augenblick schlurfte ein Säufer bei Rotlicht über die Main Street, und ein Lincoln hätte ihn um ein Haar erfaßt, wenn dessen Fahrer nicht im letzten Augenblick noch auf die Bremsen getreten

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