Der Neue Frühling
Lächeln alles andere als freundlich aussah.
Als sie fort waren, starrte Moiraine Cadsuane fassungslos an. So etwas hatte sie noch nie erlebt. Bis auf einmal – eine Lawine. Nun kam es darauf an zu schweigen, bis sie eine Möglichkeit hatte, sich davonzuschleichen, ohne dass Cadsuane oder die anderen es mitbekamen. Das war das Klügste. »Ich habe zu nichts meine Zustimmung gegeben«, sagte sie kühl. Sehr kühl. »Wenn ich nun Angelegenheiten in Chachin habe, die nicht warten können? Was ist, wenn ich nicht damit einverstanden bin, zwei oder drei Tage hier zu warten?« Vielleicht sollte sie doch lernen, ihre Zunge etwas besser im Zaum zu halten.
Cadsuane hatte nachdenklich zu der Tür gesehen, die hinter Merean und Larelle ins Schloss gefallen war, aber nun richtete sie einen durchdringenden Blick auf Moiraine. »Ihr tragt die Stola erst seit vier Monaten und habt Angelegenheiten, die nicht warten können? Pah! Ihr habt immer noch nicht die erste wahre Lektion begriffen, nämlich dass die Stola bedeutet, dass Ihr bereit seid, wahrhaftig mit dem Lernen zu beginnen. Die zweite Lektion ist Vorsicht. Ich weiß besser als die meisten, wie schwer diese Lektion zu befolgen ist, wenn man jung ist und Saidar zur Verfügung hat und einem die Welt zu Füßen liegt. Wie Ihr glaubt.« Moiraine versuchte, ein Wort zu sagen, aber sie hätte ebenso gut vor jener Lawine stehen können. »Ihr werdet in Eurem Leben große Risiken eingehen, wenn Ihr lange genug lebt. Ihr geht schon jetzt größere ein, als Euch bewusst ist. Achtet sorgfältig darauf, was ich Euch sage. Und tut, was ich Euch sage. Ich werde heute Nacht einen Blick auf Euer Bett werfen. Und solltet Ihr nicht darin liegen, werde ich Euch finden und dafür sorgen, dass Ihr weint wie wegen dieser Mäuse. Hinterher könnt Ihr Euch Tränen mit der Stola abtrocknen, von der Ihr glaubt, dass sie Euch unverwundbar macht. Das tut sie nicht.«
Moiraine starrte die Tür an, die sich hinter Cadsuane schloss, stellte plötzlich fest, dass sie den Becher Wein noch in der Hand hielt und leerte ihn in einem Zug. Die Frau war ... furchteinflößend. Die Regeln untersagten körperliche Gewalt gegen eine andere Schwester, aber Cadsuane war kein Haarbreit von ihrer Drohung abgerückt. Sie hatte sie laut ausgesprochen, also meinte sie es bei den Drei Eiden auch ernst. Unglaublich. War es Zufall, dass sie Meilyn Arganya und Kerene Nagashi erwähnt hatte? Das waren zwei von Tamras Sucherinnen. Konnte Cadsuane auch eine Sucherin sein? Jedenfalls hatte sie Moiraine fein säuberlich für eine Woche oder mehr aus der Jagd genommen. Zumindest, wenn sie tatsächlich mit Merean und Larelle reiste. Aber warum nur eine Woche? Wenn die Frau an der Suche teilnahm ... wenn Cadsuane von ihr und Siuan wusste ... Wenn ... Hier zu stehen und einen leeren Weinbecher in den Fingern zu drehen brachte sie nicht weiter. Sie schnappte sich ihren Umhang.
KAPITEL 18
Um Haaresbreite
Eine ganze Anzahl von Leuten sahen Moiraine an, als sie den Gemeinschaftsraum wieder betrat, manche mit mitleidigen Blicken. Zweifellos stellten sie sich vor, wie es sein musste, im Brennpunkt der Aufmerksamkeit von drei Aes Sedai zu stehen, und konnten nichts Gutes daran finden. Die Gesichter der Schwestern drückten einhellig kein Mitgefühl aus. Die meisten nahmen überhaupt keine Notiz von ihr. Aber Felaana lächelte zufrieden; wahrscheinlich glaubte sie, dass der Name der Lady Alys schon so gut wie im Novizinnenbuch stand. Wenigstens kannte sie die Wahrheit nicht, nicht bei diesem Lächeln. Es bestand immer noch Hoffnung, sich eine Weile vor Sierin verborgen zu halten. Cadsuane war nirgends zu sehen, die beiden anderen auch nicht.
Moiraine ging ziemlich erschüttert zwischen den Tischen hindurch. Zu viele Fragen und keine Antworten. Sie wünschte sich, Siuan wäre hier; Siuan wurde sehr gut mit Rätseln fertig. Und nichts konnte Siuan erschüttern. Allein ihre Anwesenheit hätte sie gestützt.
Eine junge Frau sah von der Straße zur Tür herein, verschwand dann sofort wieder, und Moiraine kam aus dem Tritt. Wenn man sich etwas inbrünstig genug wünschte, bildete man sich ein, es zu sehen. Die Frau schaute wieder herein, die Kapuze ihres Umhangs fiel auf den Rucksack, den sie trug. Und es war tatsächlich Siuan, kräftig und hübsch in einem von Tamores schlichten blauen Reitkleidern. Diesmal sah sie Moiraine, aber statt zu ihr zu eilen und sie zu begrüßen, nickte Siuan die Straße hinauf und verschwand erneut.
Moiraine
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