Die Pubertistin - eine Herausforderung
Und so gab es kein Vertun, an jenem Sommermorgen brachten wir sie zum Bus. Es war sechs Uhr und das Kind dermaßen schlecht gelaunt, dass ich kurz er-wog, im Auto die Kindersicherung einzuschalten. Nicht dass sich unser Ferienkind aus Protest auf die Stadtautobahn wirft. Am Busbahnhof angekommen, suchten wir einen nett aussehenden Betreuer, dem wir sie anzuvertrauen gedachten. Das, stellte sichheraus, war schon mal der falsche Ansatz – die Reisebegleiter machten mit ihren hippen Sonnenbrillengesichtern und den Bündeln, die sie als Gepäck dabei hatten, eher den Eindruck, als führen auch sie in einen endlosen, sehr beschwingten Sommer, zu dem sie gegen ein Taschengeld ihre kleinen Geschwister mitnehmen mussten.
Sei’s drum, wir hatten bezahlt und schoben das Kind in den riesigen Reisebus, nicht ohne ihr noch einige wichtige Hinweise zu geben: Ruf an, wenn du angekommen bist! Kein Alkohol, sonst schicken sie dich nach Hause! Amüsier dich gut! Exakt danach sah die Sache nicht aus. Als wir sie zum Abschied umarmen wollten, stoppte sie unsere Vorwärtsbewegung mit stählernem Blick. Denkt nicht mal dran, mich hier vor allen zu umarmen!, sagten ihre Augen. Okay, wir dachten nicht mal dran, trollten uns und fuhren durch den kühlen Sommermorgen zur Arbeit.
Zehn Tage ist das jetzt her. Und tatsächlich, langsam, aber sicher fehlt sie uns. Wer hätte das gedacht. Die anderthalb Wochen ohne Kind waren für den Vater und mich eine überraschend harmonische Zeit. Länger schlafen, tagsüber keine Ich-hab’-keine-sauberen-Jeans-mehr-Telefonate,abends auswärts essen gehen, statt nach Hause zu schwirren. Im fahlen Licht der Kühlschranklampe entdeckten wir nur noch trockenen Weißwein und Milch für den Morgenkaffee. Wir fühlten uns sehr wild, sehr jung. Und irgendwann sehr einsam. Denn da klaffte eine emotionale Lücke. Und die konnte nur unsere Tochter füllen.
So stehen wir denn an diesem Hochsommerabend erneut am Busbahnhof und gesellen uns zu den anderen Eltern auf Entzug. Alle schauen wir erholt aus, wir haben eine gute, konfliktfreie Zeit hinter uns. Unsere Erinnerungen sind mittlerweile gülden, die Kinder erscheinen uns als kleine Heilige, liebenswürdige Töchter und Söhne, die uns sicher vermisst haben werden. Als der Bus mit nur dreieinhalb Stunden Verspätung auf den Parkplatz rollt, stehen wir mit mildem Lächeln da, bereit, Liebe zu geben und Liebe zu empfangen.
Mit leisem Zischen schweben die Bustüren zur Seite. Erwartungsvoll schauen wir in jenen Schlund, aus dem unsere Nachgeborenen auftauchen sollen. Müssen. Oder? Es dauert, bis das erste Einssechzigbaby im Türrahmen erscheint. Es ist ein Mädchen! UnserMädchen! Das erkennen wir aber erst auf den zweiten Blick. Denn irgendwie hat sie sich verändert. Statt der Shorts trägt sie nun hautenge, schmutzige Jeans und ein bizarr gemustertes T-Shirt. Im Kindergesicht eine nachtschwarze tellergroße Sonnenbrille, schickt sich der kleine Erdenbürger an, grußlos an uns vorbeizumarschieren. Ihre Tasche schleift sie brutal übers Pflaster. Und irgendwie sieht sie so dünn aus! Ist sie es überhaupt? Aber kein Zweifel, die gehört uns. Gerade noch können wir sie an der Schulter packen: Hallo, du!
Hinter den Brillengläsern flackert etwas wie Erkennen – wer waren gleich noch mal diese großen Leute ...? Jetzt fällt es ihr wieder ein. Muss schlafen, murmelt sie, und dass sie im öffentlichen Raum auf gar keinen Fall umarmt werden will. Aber klar, aber gern, aber sofort, signalisieren wir Unterwerfung. Wir spüren, ab jetzt ticken die Uhren anders. Aus dem gewohnheitsmäßig störrischen Kind ist in zehn Tagen Italien ein furchtloser Widersacher geworden. Die Pubertistin.
Wir fahren sie nach Hause, nehmen in Kauf, dass sie weder die extra für sie gekochten Senfeier isst nochunsere Fragen zu beantworten gedenkt. Den wenigen Sätzen, die sie uns hinwirft, entnehmen wir, dass sie erstens neue Freundinnen hat, zweitens morgen abend mit eben jenen Mädchen im Stadtzentrum verabredet ist und drittens dafür unsere Monatskarte haben muss. Ihre Forderung trägt sie mit kaum modulierter Stimme vor. Der Kindsvater und ich schauen uns verständnisinnig an: Die hat die Pubertätsgrippe, funken wir uns zu. Vier Wochen kommt sie, vier Wochen bleibt sie, vier Wochen geht sie. Und weil wir das wissen, stellen wir keine weiteren Fragen, sondern klopfen der frisch gebackenen Pubertistin das Knuffelkissen auf und händigen ihr die Monatskarte
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