Der Preis der Ungleichheit: Wie die Spaltung der Gesellschaft unsere Zukunft bedroht (German Edition)
nicht jeder Dollar - eine Stimme hat, unser politisches System unbedingt reformieren müssen; aber es dürfte uns kaum gelingen, innerhalb eines Wirtschaftssystems, in dem die Schere zwischen Arm und Reich so weit geöffnet ist, ein faires und aufgeschlossenes politisches System zu verwirklichen. Wir haben in jüngster Vergangenheit erlebt, dass unser politisches System nicht funktionieren kann, wenn kein tiefes Gemeinschaftsgefühl vorhanden ist; doch woran soll sich dies auch festmachen, wenn unser Land so gespalten ist? Und angesichts der wachsenden Kluft in unserer Wirtschaft können wir nur fragen: Was bedeutet sie für die Zukunft unserer Politik?
Der Zustand der US-amerikanischen Gesellschaft in fünfzig Jahren lässt sich anhand zweier Szenarien ausmalen. In dem einen ist die soziale Spaltung zwischen Arm und Reich größer denn je: Die USA sind ein Land, wo die Reichen in abgeschotteten Wohnanlagen leben, ihre Kinder auf teure Privatschulen schicken und sich eine erstklassige medizinische Versorgung leisten können. Unterdessen leben die übrigen Amerikaner in einem Umfeld, das von Unsicherheit, bestenfalls zweitklassiger Bildung und de facto rationierter medizinischer Versorgung gekennzeichnet ist – sie hoffen und beten, dass sie nicht ernsthaft krank werden. Ganz unten befinden sich Millionen junger Menschen, die sich gesellschaftlich
ausgeklinkt haben und alle Hoffnung haben fahren lassen. Ich habe dieses Bild in vielen Entwicklungsländern gesehen; Ökonomen gaben dem Phänomen sogar einen Namen, »duale Wirtschaft«, zwei Gesellschaften, die nebeneinander leben, aber kaum etwas übereinander wissen und sich nicht vorstellen können, wie das Leben in der jeweils anderen Gesellschaft aussieht. Ob wir so tief sinken werden wie einige andere Länder, wo die Mauern immer höher werden und die sozialen Verwerfungen immer tiefer, weiß ich nicht. Allerdings ist dieses Alptraum-Szenario keinesfalls auszuschließen.
Das andere Szenario ist das einer Gesellschaft, in dem die Kluft zwischen Arm und Reich kleiner geworden ist, in der das Gefühl vorherrscht, dass alle dasselbe Schicksal teilen, in der es ein gemeinsames Bemühen um Chancengleichheit und Fairness gibt, in der die Worte »Freiheit und Gerechtigkeit für alle « einen tatsächlichen Zustand beschreiben, in der wir die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ernst nehmen, die die Bedeutung nicht nur der Bürgerrechte, sondern auch der wirtschaftlichen Rechte, und nicht nur der Eigentumsrechte, sondern auch der wirtschaftlichen Rechte des einfachen Bürgers betont. In dieser Vision haben wir ein lebendiges politisches System, das sich grundlegend von jenem unterscheidet, in dem 80 Prozent der jungen Menschen so politikverdrossen sind, dass sie nicht einmal mehr zur Wahl gehen.
Ich glaube, dass nur dieses zweite Szenario mit unserem historischen Erbe und unseren Werten in Einklang steht. Die US-Amerikaner werden nicht nur eine deutlich höhere Lebensqualität genießen, sondern auch ein stärkeres Wirtschaftswachstum (insbesondere wenn dieses sachgerecht gemessen wird) verzeichnen, als es der Fall wäre, wenn sich die sozialen Gräben vertiefen. Es ist für dieses Land noch nicht zu spät, das Ruder herumzureißen und sich auf jene Grundprinzipien der Fairness und Chancengleichheit zurückzubesinnen, auf denen es errichtet wurde. Doch uns bleibt nicht mehr viel Zeit. Vor vier Jahren gab es einen Moment, in dem die meisten Amerikaner die Kühnheit besaßen zu hoffen. Es schien möglich zu sein, Trends, die seit mehr als 25 Jahren anhielten, umzukehren. Stattdessen verschlimmerten sie sich. Heute ist diese Hoffnung zu einem Flackern verkommen.
Dank
In den fast fünfzig Jahren, in denen ich mich mit den Ursachen und Folgen von Ungleichheit befasse, habe ich von so vielen Menschen intellektuell profitiert, dass ich sie hier nicht alle im Einzelnen auflisten kann. Robert Solow, einer meiner Doktorväter, mit dem ich gemeinsam einen Aufsatz über Verteilung und makroökonomisches Verhalten schrieb, hatte seine eigene Dissertation über das Thema Ungleichheit geschrieben. Der Einfluss von Paul Samuelson, eines weiteren Doktorvaters, wird in der Diskussion über die Globalisierung in Kapitel 3 deutlich durchscheinen. Die ersten Aufsätze, die ich über dieses Thema publizierte, schrieb ich mit meinem Kommilitonen George Akerlof, mit dem ich mir im Jahr 2001 den Nobelpreis teilte.
Als ich 1965/66 als Fulbright-Stipendiat an der Cambridge University
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