Der Preis der Ungleichheit: Wie die Spaltung der Gesellschaft unsere Zukunft bedroht (German Edition)
deutliche Verbesserungen erzielen. Es geht nicht darum, Ungleichheit gänzlich zu beseitigen oder vollkommene Chancengleichheit zu verwirklichen. Es geht darum, das Ausmaß der Ungleichheit zu verringern und den Grad der Chancengleichheit zu erhöhen. Die Frage lautet: Können wir das bewerkstelligen?
Unsere Demokratie, mag sie auch unfair und verzerrt sein, bietet uns zwei Wege, um Reformen durchzusetzen. Die 99 Prozent könnten erkennen, dass sie von dem einen Prozent hinters Licht geführt wurden: dass das, was im Interesse des obersten einen Prozents ist, nicht in ihrem Interesse ist. Das eine Prozent hat alles darangesetzt, die übrigen 99 Prozent davon zu überzeugen, dass eine andere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung nicht möglich sei; dass es den 99 Prozent zwangsläufig
schade, wenn irgendetwas unternommen wird, was das eine Prozent nicht will. In diesem Buch habe ich nicht nur diesen Mythos zerstört, sondern auch dargelegt, dass wir nicht nur unsere Wirtschaft dynamischer und effizienter, sondern zugleich unsere Gesellschaft fairer gestalten können.
Im Jahr 2011 sahen wir, wie Millionen von Menschen auf die Straße gingen, um gegen die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in ihren repressiv-autoritär regierten Ländern zu protestieren. In Ägypten, Tunesien und Libyen wurden die Machthaber gestürzt. In Jemen, Bahrain und Syrien kam es zu Massenprotesten. Die Herrscherfamilien in anderen Ländern der Region verfolgten dies aus ihren klimatisierten Penthäusern heraus mit nervösem Unbehagen. Sind sie als Nächstes an der Reihe? Sie sind zu Recht beunruhigt. In diesen Gesellschaften besitzt ein winziger Teil der Bevölkerung – weniger als ein Prozent – den Löwenanteil des Gesamtvermögens; hier ist die politische und wirtschaftliche Machtstellung des Einzelnen ganz entscheidend von seinem Reichtum abhängig; hier ist Korruption an der Tagesordnung, und hier widersetzen sich die Reichsten oftmals aktiv einer Politik, die die Lebensbedingungen der Bevölkerung insgesamt verbessern würde. Angesichts dieser entfesselten Massen auf den Straßen mögen wir uns selbst ein paar Fragen stellen. Wann schwappen die Proteste nach Amerika über? Wann werden andere westliche Länder von Ausläufern dieser Beben erschüttert? Die USA haben mancherlei Ähnlichkeit mit diesen Krisenstaaten, in denen eine winzige Elite das Sagen hat. Wir haben einen großen Vorteil – wir leben in einer Demokratie –, aber es ist eine Demokratie, in der die Interessen weiter Teile der Bevölkerung politisch immer weniger Berücksichtigung finden. Die Menschen spüren das – es schlägt sich in der niedrigen Zustimmung für die Arbeit des Kongresses und in der erschreckend niedrigen Wahlbeteiligung nieder.
Aber es könnte auch noch auf einem anderen Weg zu Reformen kommen: Das eine Prozent könnte erkennen, dass das, was in den Vereinigten Staaten geschehen ist, nicht nur unseren Werten widerspricht, sondern dass es nicht einmal im Interesse des einen Prozents selbst liegt. Alexis de Tocqueville nannte das, was er als ein Kernelement des besonderen Genius der amerikanischen Gesellschaft ansah, »wohlverstandenen Eigennutz«. Dabei ist das Adjektiv entscheidend. Jeder Mensch ist in einem engeren Sinne eigennützig: Ich will das, was mir nützt, sofort!
»Wohlverstandener« Eigennutz ist etwas anderes. Es bedeutet die Einsicht, dass das eigene Wohlergehen in letzter Konsequenz davon abhängt, dass man die Eigeninteressen aller anderen – kurzum: das Gemeinwohl – beachtet. 27 Tocqueville behauptete nicht, dass an dieser Einstellung etwas Edles oder Idealistisches sei. Nein, er behauptete das genaue Gegenteil: Es sei ein Kennzeichen des amerikanischen Pragmatismus. Diese gerissenen Amerikaner hätten eine grundlegende Tatsache begriffen: An seinen Nächsten zu denken, ist nicht nur gut für das eigene Seelenheil; es ist auch gut fürs Geschäft.
Das oberste eine Prozent hat die besten Häuser, die beste Bildung, die besten Ärzte und den besten Lebensstil, aber da ist eine Sache, die man sich mit Geld wohl nicht kaufen kann: die Einsicht, dass das eigene Schicksal eng damit verbunden ist, wie die übrigen 99 Prozent leben. Die gesamte Geschichte hindurch hat das oberste eine Prozent dies irgendwann begriffen – oft allerdings zu spät.
Wir haben gesehen, dass sich Politik und Wirtschaft nicht trennen lassen und dass wir, wenn wir ein System erhalten wollen, in dem jeder Bürger – und
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