Der Prinz der Hölle
dass Ihr nicht gern ein unversiegeltes Tor unter Eurer Stadt hättet.«
Diese Worte beunruhigten Omeron sichtlich. Er erteilte zwanzig Soldaten den Befehl, seinen kleinen Trupp zu begleiten. Auch Sonja fühlte sich nach Elaths Bemerkung unbehaglich.
Als sie die Tempeltrümmer erreichten, brach der neue Tag an, doch auch sein noch gedämpftes Licht zeigte nicht mehr als einen wirren Haufen grauer Steine.
»Es ist vollbracht«, murmelte Ilura. »Ich spüre seinen Geist nicht mehr. Er liegt unter dem Tempel begraben.«
Noch immer zogen sich dichte Massen von Reptilien auf den Straßen zurück. Einige waren verwundet und ließen Blutspuren auf dem Ziegelpflaster zurück.
»Ich muss zu ihnen«, erklärte Ilura, »und mit Hilfe Sithras und des Ixcatlzepters so viele ihrer Diener heilen, wie es möglich ist.« Mit diesen Worten schritt die Schlangenfrau im rötlichen Licht des frühen Morgens die verwüstete Straße entlang.
»Wir sollten ihn neu aufbauen«, sagte Omeron, doch offenkundig, ohne selbst so recht davon überzeugt zu sein. »Als Sithratempel…«
»Nein.« Sonja schüttelte den Kopf. »Errichtet keine weiteren Tempel mehr auf diesem Land, Omeron.«
Der Boden erzitterte, als Teile einer Wand einstürzten und innerhalb des Tempels Steine herabkrachten und der Boden nachgab, während weitere Trümmer fielen.
»Ihr habt recht.« Omeron nickte. »Wenn wir Glück haben, öffnet sich vielleicht die Erde und verschluckt das Ganze.«
»So wird es geschehen, Fürst«, versicherte ihm Elath.
Sonja bemerkte, dass das geheimnisvolle Licht seiner Augen stärker brannte. »Sagt Euch das Euer Zweites Gesicht, Zauberer?«
»Ich fühle ungeahnte Höhlen unter dem Tempel des Todesvogels«, antwortete er. »Vielleicht sogar ein weiteres versiegeltes Tor zu den Höllen. Es ist gut, wenn solche Höhlen aufgefüllt werden. Ich sehe die Ruinen während der nächsten Monate weiterhin nach innen einstürzen. Kein Thesrader wird sich aus freiem Willen in diese Gegend begeben, ‚selbst lange nachdem Lord Omeron den Rest der Stadt wiederaufgebaut hat.«
»Und Du-jum?« fragte Sonja.
»Tot, wie Ilura es spürte. Es ist wahrhaftig eine Ironie. Die Götter, ob die des Lichtes oder der Finsternis, ob gerecht oder ungerecht, ob ernst oder verspielt, müssen nun vermutlich lachen – denn ich fühle ohne Zweifel, dass tief unter dem Tempelfundament ein uralter Gang liegt, einer von jenen, die Du-jum so verzweifelt suchte, um zu den Höllen zu gelangen und dadurch zu seinen eigenen finsteren Schicksalsgöttern. Und eines Tages, in absehbarer Zeit, wird er mit dem einstürzenden Tempelboden in diesen Gang fallen und eine Ewigkeit, unter Trümmern begraben, ganz nahe bei diesem Eingang zu den Höllen ruhen, den zu finden er sich so sehr ersehnte.«
»Was wisst Ihr über jenes andere Tor?« fragte Omeron besorgt.
»Das unter dem Palast? Das durch die Entfernung des Dolches nun unversiegelt ist? Ja, wir müssen in der Tempelruine nach dem Dolch suchen …«
Er unterbrach sich, als er Ilura herbeikommen sah, und er staunte über ihren Begleiter: Neben ihr her lief wie ein folgsamer Hund ein Waran.
Elath deutete in ihre Richtung. »Seht, Lord Omeron! Das Problem, über das wir soeben sprachen, ist gelöst!«
Sonja und der Fürst hatten es bereits selbst bemerkt, und beide atmeten erleichtert auf. Mit den Zähnen hielt der Waran den Dolch der Alten: das Siegel, das das ungeschützte Tor zu den Höllen wieder sichern würde.
EPILOG
Am nächsten Abend, nachdem Omeron und seine Untertanen mit dem Wiederaufbau der Stadt begonnen hatten, traf Verstärkung von Ribeth ein. Der Herrscher von Ribeth, Fürst Sentharion selbst, führte die vier großen Kohorten an. Zwar kamen sie zu spät, um bei der Vernichtung von Du-jums Schreckensherrschaft mitzuhelfen, doch erboten sie sich sofort, beim Wiederaufbau mitzuwirken.
Omeron lud die ganze Stadt zu einem großen Fest ein. Es gab noch genügend Vorräte, und außerdem Rinder, Ziegen und Pferde. Zwei Nächte wurde im taghellen Fackelschein durchgefeiert. Es wurde gesungen und getanzt, und alle waren fröhlich. Omeron hielt Reden, und wenn er von dem Überstandenen sprach, kamen ihm die Tränen. Sentharion schwor, Thesrad auf jede nur mögliche Weise zu helfen.
Die paar Thesrader Edlen, die überlebt hatten, saßen an der großen Bankettafel mit Omeron, Sentharion und dessen Edlen, Sonja, Kiros, Endi und Elath. Doch vermied man hier, von den Grauen der kaum vergangenen Zeit zu sprechen
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