Der raffinierte Mr. Scratch: Roman (German Edition)
zu sehen, und setzten sich in Richtung Friedhof in Bewegung.
Es war gut zu sehen, dass sich manche Dinge niemals änderten, überlegte der Teufel, und während er dies dachte, trat ein gewaltiges schwarzes Rind auf die Bildfläche und veranlasste die anderen stehen zu bleiben.
Keine Kuh. Ein Bulle, ein riesiger Bulle obendrein, schwarz glänzend wie Obsidian, ein Berg wie der Mount Rushmore, mit einem Hals wie ein Turm und einem Kopf wie ein Wikingerpalast.
Der Bulle schnaubte. Die Kühe senkten die Köpfe und grasten erneut.
»Das ist Palestine«, sagte jemand in der Nähe.
Der Teufel wandte sich um und sah Mrs. Bull Horse hinter sich. Sie trug einen Krug Wasser und ein Glas bei sich. »Du behältst ihn besser im Auge, okay? Er reißt dir die Eingeweide schneller heraus, als du sehen kannst. Wenn er dir zu nahe kommt, sieh zu, dass du dich einen Baum hinauf in Deckung bringst oder in einem Loch verkriechst. Wo wir von Loch reden – es sieht nicht so aus, als wäre hier viel gegraben worden.«
Der Teufel starrte auf den Krug und leckte sich über die trockenen Lippen.
»Vielleicht ist es zu viel für dich«, vermutete Mrs. Bull Horse. »Vielleicht brauchst du ja Hilfe.«
Stolz und Verachtung durchfluteten den Teufel.
»Wie du meinst«, sagte Mrs. Bull Horse. Sie stellte den Krug ins Gras und ging zwischen den Bäumen hindurch davon.
Der Bulle, bemerkte der Teufel, während er den Krug in einem Zug hinunterkippte, war in der Zwischenzeit unmerklich ein Stück näher gekommen. Oder täuschte er sich?
Der Gedanke verlieh ihm neue Kraft, und er wandte sich erfrischt dem Grab zu.
***
Er schaufelte zwanzig Minuten lang, ohne eine Pause einzulegen, nur um zu sehen, ob er es konnte.
Frisches Blut machte den Schaufelstiel klebrig und braun. Blasen bildeten sich und platzten – das tat höllisch weh, verdammt! –, doch er hörte nicht auf, bevor nicht das Gras ringsum hüfthoch stand. Dann stand er da, stützte das Kinn auf die Schaufel und überlegte, ob er nicht vielleicht genügend Magie aufbrachte, um den Wasserkrug erneut zu füllen, als ein leises Rascheln im Gras ihn mit einem unterdrückten Schrei herumfahren ließ …
Der gefürchtete Palestine!
Doch es war nicht Palestine. Es war Memory. Sie hatte Wasser dabei und ein paar Äpfel.
»Oh«, sagte er, versuchte sich auf die Schaufel zu stützen und wie ein attraktiver junger Arbeiter dreinzublicken.
Sie sah besser aus als beim letzten Mal, als er sie gesehen hatte, als sie soeben aus ihrem jahrelangen Koma erwacht war. Ihr langes flachsblondes Haar sah gesund und kräftig aus. Genau wie ihre mystischen Augen. Sie trug ein schlichtes selbstgewebtes Kleid, dazu ein Schultertuch und eine Art hölzernen Schmuckanhänger an einer Lederschnur um den Hals.
»Du bist noch nicht weit gekommen«, stellte sie fest und beugte sich vor, um ihm das Wasser und die Äpfel zu reichen. Der Teufel nahm einen tiefen Schluck und aß einen halben Apfel mit einem einzigen Bissen. Dann drehte er sich um und machte sich wieder an die Arbeit. »Interessante Gegend«, stellte er fest.
»Vermutlich, ja«, sagte sie und setzte sich mit untergeschlagenen Beinen an den Rand des Grabes.
»Gefällt sie dir?«
»Ja.«
»Wie das?«
Sie schwieg lange Zeit. Er warf neun Schaufeln voll Erde aus dem Grab, während er wartete und sorgfältig darauf achtete, sie nicht zu treffen.
»Sie machen das, was du den Menschen seit fünftausend Jahren beizubringen versuchst, Baby. Sie bauen einen Ort, an dem Menschen zusammenleben können.«
»Das ist mir schon gelungen. Ich habe Leute dazu gebracht.«
»Schön und gut, Baby, aber diese Leute hier machen es aus sich heraus. Sie versuchen nicht, Rom an einem Tag zu errichten oder sonst irgendwas. Sie versuchen lediglich, dieses kleine Dorf hier zu erbauen. Den Ort, an dem sie leben.«
Die Brise vom Meer wehte etwas stärker. Vielleicht auch ein wenig kälter. Frostige frühabendliche Kühle.
»Ich fühle mich hier zu Hause«, sagte sie, erhob sich und wandte sich zum Gehen.
Doch dann hielt sie inne.
Mit dem Rücken zu ihm fragte sie: »Was hast du mit Zachary vor?«
Er grub weiter.
»Warum?«, fragte er. »Beschützt du ihn vor mir?«
»Das habe ich getan. Ich habe ihn hergebracht. Ich hatte Angst um ihn, nachdem er dich niedergeschossen hatte.«
Der Teufel unterbrach seine Arbeit.
»Und jetzt?«
Sie schaute ihn immer noch nicht an.
»Man kann einen anderen nicht wirklich beschützen«, sagte sie leise. »Nicht für alle Zeiten.
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