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Der Richter aus Paris - Eine fast wahre Geschichte

Der Richter aus Paris - Eine fast wahre Geschichte

Titel: Der Richter aus Paris - Eine fast wahre Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Wickert
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Stämmen vorbeisteuern konnte.
    Der Kreole mit den Glubschaugen stieg neben ihm ein, schlug mit der leeren Hand von unten nach oben durch die Luft und gab ihm so das Zeichen zum Losfahren. Das Gewehr zwischen die Beine gestellt, den Lauf mit beiden Händen umklammert, schaute er angestrengt nach vorn, als lauere dort Gefahr. Er schwieg. Nach etwa einem Kilometer bedeutete er ihm mit der
    mehrmals schnell nach unten schlagenden Hand an, er möge bremsen. Ein junger Baum lag über der Straße. Jacques wollte im Schritt-Tempo über das Hindernis hinwegrollen, als drei Kreolen auf den Weg sprangen und ihre Gewehre auf die Fahrerseite richteten. Doch Jacques' Begleiter machte eine gewichtige Miene, winkte stumm, und sie verschwanden wieder.
    Auf der drei Kilometer am Berghang hochsteigenden Palmenallee wurden sie noch zwei Mal angehalten.
    Dirigiert von seinem Beifahrer, parkte Jacques den Wagen vor dem Atelierhaus. Es zeigte sich niemand.
    Der Kreole führte ihn zu der Veranda und wies mit dem Gewehrlauf auf die Hollywoodschaukel, in deren tiefe Kissen sich Jacques genüsslich fallen ließ. Seine Jacke legte er neben sich.
    Der Richter aus Paris wollte sich wohlfühlen. In der Ferne glaubte er, den lauten Pfiff eines Tukans zu hören. Ein Hund bellte. Weit weg nahmen andere Hunde das Gekläffe auf. Doch die Atmosphäre schien nicht so luftig leicht und unbeschwert zu sein wie bei seinem letzten Besuch. Auf der Koppel weideten keine Pferde. Eine Grille rieb ihre Flügel aneinander und erzeugte ein lautes Schnarren. Sie saß ein wenig weiter weg in einem Baum. Unsichtbar. Aber laut.
    Der Atlantik strahlte, hellblau nahe dem Ufer, fast schwarz weiter draußen. Jacques konnte sogar den weißen Schaum vor der Küste sehen, dort, wo die großen Wellen sich brachen. Der Wolkenbruch hatte die Sicht freigewaschen und die Luft geklärt. Jacques versank in Träumereien von einem Leben ohne Hektik. Wo es warm und nie kalt war. Wo Amadee und nicht Margaux, geschweige denn Jacqueline ihre Hand an seinen Nacken legte. Wo er den Kaffee auf der Veranda und nicht im Bistro am Boulevard de Belleville trank. Und Rum statt Whisky. Trois Rivieres statt Johnny Walker.
    Das Fliegengitter an der Verandatür quietschte. Jacques drehte
    den Kopf und erkannte die junge Frau im ersten Augenblick nicht. Sie trat heraus und blieb stehen, den linken Handrücken hinter der Hüfte aufgestützt, so dass der Arm in einem weiten Winkel abstand, die Rechte war in dem weiten Kleid verschwunden und hob den üppigen Stoff ein wenig an.
    Eine vornehme junge Kreolin im Sonntagsstaat stand vor Jacques. Amadee.
    Der Stoff des Kleides, Madrastuch, war über und über mit großen roten, gelben und grünen Blüten und Blättern bedruckt. Der Rock war oberhalb der Taille gleich unter dem vollen Busen angesetzt, die Ärmel umschlossen die Handgelenke. Das Oberteil war bis zum Hals zugeknöpft, eine Seidenschärpe schmückte den Ausschnitt. Der lange Rock endete eine Handbreit über den Knöcheln, und ein weiß geklöppelter Spitzenunterrock lugte unter dem Saum hervor.
    Um den Hals trug Amadee vier »Collierchou«, grobmaschige Goldketten, eine davon mit Halbedelsteinen geschmückt, und in den Ohren hingen »Creoles«, auffallend gearbeitete Goldringe. Das schwarze Haar hatte sie nach hinten gesteckt und darüber ein Mouchoir de tete, ein knallig rotgelb gestreiftes Kopftuch, so gebunden, dass ihre hohe Stirn frei blieb und die zur Schleife gedrehten breiten Enden fröhlich nach oben zeigten.
    Amadee wirkte wie ein junges Mädchen aus einem alten karibischen Märchen.
    Ihr halb geöffneter Mund zeigte strahlend weiße Zähne, und ihre Augen blickten Jacques unbeschwert an. Er fühlte sich in eine Welt versetzt, in der ein tapferer Jüngling diese Erscheinung ein wunderschönes Geschenk genannt hätte. Als sich Meerjungfrauen noch aus Liebe in Menschen verwandelten.
    Er stand auf, wollte ihr eine Bise geben, aber sie hielt den Kopf so, dass sich ihre Lippen trafen, legte beide Hände auf seine Schultern, drückte sich fest in seine Arme und seufzte. Jacques hielt sie fest, spürte ihren Körper an seinem, fühlte nur
    noch Amadee. Die Grille hörte er nicht mehr, nicht die bellenden Hunde.
    »Mach dir keine Sorgen«, sagte sie lächelnd, als sie nebeneinander auf der Hollywoodschaukel saßen, »diesmal wird Loulou oder wer auch immer kein Foto machen. Du kannst dich völlig sicher fühlen. Wir haben die Plantation von allen Seiten abgeriegelt. Aus Vorsicht. Auch wegen

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