Der Schachspieler
Zukunft bei Sanfield & Fine haben würden.
Außerdem war Ms. Varners Karte um 20.58 Uhr für den Aufzug benutzt worden. Vom Empfangsbereich brauchte man eine knappe Minute durch die Gänge zu Sanfields Eckbüro. Wenn man die Wege im Bürohaus einkalkulierte, blieben dem Täter etwa vierzehn Minuten, um Sanfield zu ermorden, die Schachfigur in die Wunde zu stecken und zum Aufzug zurückzukehren. Cady fragte sich, warum sich der Mörder so lange am Tatort aufgehalten hatte. Schließlich vergrößerte sich mit jeder Sekunde das Risiko, erwischt zu werden. Hatte der Killer Sanfield gekannt? War das der Grund, warum sich keine Abwehrspuren an Sanfields Händen befunden hatten? Oder hatte der Täter noch etwas gesucht? Zu viele Fragen auf einmal.
Ein Durchbruch konnte erzielt werden, als Detective Bruce Pearl vom MPD zusammen mit dem rotgesichtigen und ziemlich angesäuerten Chef von Cadence Security, Dick Heath – selbst ehemaliger FBI-Mann – die Aufnahmen der Sicherheitskameras durchging, die an allen Ein- und Ausgängen des Hochhauses installiert waren. Die Bilder der Kameras wurden auf den Monitoren in der Wachzentrale verfolgt.
Heath, Pearl und ein Team von Sicherheitsleuten überprüften das Bildmaterial vom vergangenen Abend. Das Gebäude war zu dieser späten Stunde bereits so gut wie leer gewesen, hin und wieder sah man noch einen Workaholic aus dem Haus kommen. Heath erkannte etwas auf dem Bildschirm, als die Zeitangabe rechts unten 21.01 Uhr anzeigte, was haargenau in den Zeitrahmen passte, der durch Ms. Varners Einlasskarte vorgegeben war. Der Bildschirm zeigte einen gebeugt gehenden Mann mit Baseballkappe, der irgendetwas in der rechten Hand trug und das Haus durch den Ausgang auf der Nordostseite verließ. Ganz plötzlich, wie aus dem Nichts tauchte er auf Heaths Monitor auf, als wäre er unsichtbar durch das Gebäude gestreift, ehe ihn diese eine Kamera einfing. Sein Gesicht war nach unten gerichtet, von der Kamera abgewandt. Eines jedoch war deutlich zu erkennen: Die Gestalt hinkte.
Heath rief Detective Pearl und die Mitarbeiter von Cadence zu sich und spielte die Bilder noch einmal ab, die den Unbekannten beim Verlassen des Hauses zeigten.
»Ach Quatsch«, sagte einer der Nachtwächter. »Das ist doch nur der Junge.«
Cady blätterte in dem Bericht zu einem besonders interessanten Punkt weiter, dem Protokoll des Gesprächs, das Detective Pearl mit jenem Sicherheitsmann von Cadence geführt hatte, einem Bodybuilder namens Ritter, der den Jungen gekannt hatte.
»Wie lange hat sich der Mann schon hier herumgetrieben?«, fragte Detective Pearl.
»Zum ersten Mal ist er vor ungefähr einem Monat oder sechs Wochen aufgetaucht. Er hatte einen Klumpfuß oder so was und eine verkrüppelte Hand, in der er immer so ein Trinkpäckchen hielt, wie sie meine Kinder mit diesen abgepackten Lunchables kriegen.«
»Haben Sie mal mit ihm gesprochen?«
»Ja. Als ich ihn zum ersten Mal vor dem Eingang hin und her hinken sah, ging ich rüber und fragte ihn, ob ich ihm irgendwie helfen kann.«
»Was hat er gesagt?«
»Wissen Sie, Detective, er kam mir ein bisschen zurückgeblieben vor. Er wirkte aber recht zufrieden, hat immer genickt, und er hatte eine feuchte Aussprache, wenn Sie verstehen, was ich meine. Ich hielt ein bisschen Abstand, als er zu sprechen begann. Er sagte irgendwas vom Metrobus, und ich vermutete, dass er auf den Bus um fünf nach neun wartete. Der Junge kam ungefähr jeden zweiten Abend für eine Stunde vorbei.«
»Sie nennen ihn immer den Jungen . Was glauben Sie, wie alt er war?«
»Also, so jung war er eigentlich gar nicht. Ich hab ihn nur für mich so genannt, genau wie die Behinderten bei den Paralympics für mich einfach Jungs sind. Und weil er immer diese Trinkpäckchen hatte. Schwer zu sagen, aber er war irgendwo zwischen Anfang zwanzig und vierzig.«
»Wie sah er aus?«
»Er war jedenfalls weiß«, antwortete Ritter. »Ich bin eins achtundsiebzig, und er war ein bisschen größer als ich, obwohl er immer gebeugt ging, also war er vielleicht eins fünfundachtzig, wenn er aufrecht stand. Hatte schwarze Haare, fettige Haut. Und er trug immer eine Nationals-Baseballkappe, egal ob’s regnete oder die Sonne schien. Und drunter so ein Haarnetz.«
»Ein Haarnetz?«
»Ich dachte mir, er arbeitet vielleicht in einem Restaurant hier in der Straße, wo er Zwiebelringe schneiden darf oder sonst irgendwas Leichtes macht, und dass er sich hier die Zeit vertreibt, bis sein Bus
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