Der Schakal
aufgeweichten Asphaltboden des Bahnhofsvorplatzes und explodierte, ohne Schaden anzurichten, als es gute zwei Zentimeter tief in die Teerschicht eingedrungen war. »La Marjolaine« wurde weitergespielt. Der Präsident richtete sich wieder auf, nachdem er den zweiten Kuß gegeben hatte, und trat gemessenen Schritts auf den nächsten Veteranen zu.
Hinter seinem Gewehr hockend, begann der Schakal leise haßerfüllt zu fluchen. Nie zuvor in seinem Leben hatte er aus einer Entfernung von hundertdreißig Meter ein unbewegtes Ziel verfehlt. Aber dann fing er sich wieder; es war noch immer Zeit. Er riß den Verschluß des Gewehrs auf, aus dem die leere Patronenhülse auf den Teppich fiel, griff nach dem zweiten Geschoß, legte es in die Kammer ein und verriegelte den Verschluß.
Keuchend erreichte Claude Lebel den sechsten Stock. Er glaubte, gleich müsse ihm das Herz aus der Brust springen und auf dem ganzen Treppenflur umherhüpfen. Es gab zwei Türen zu Wohnungen, die auf die Straßenfront hinausgingen. Er sah unschlüssig von der einen zur anderen, und der CRS-Mann trat mit dem entsicherten Schnellfeuerkarabiner im Arm hinter ihn. Während Lebel noch zögerte, drang aus der Wohnung zur Rechten ein leises, aber unverkennbares Geräusch, das wie »Fff opp ! « klang. Lebel deutete mit dem Zeigefinger auf das Türschloß.
»Aufschießen!« befahl er und trat zur Seite. Der CRS-Mann verlagerte sein Gewicht auf beide Beine, senkte das Kinn und gab einen Feuerstoß ab. Holzsplitter, Metall und plattgeschlagene Patronenhülsen flogen in alle Richtungen. Die Tür bog sich und sprang mit einem Ruck auf und schwang nach innen. Valremy drang als erster in die Wohnung ein, Lebel folgte dicht hinter ihm.
Die kurzen grauen Haarbüschel konnte Valremy wiedererkennen, aber das war auch alles.
Dieser Mann hier hatte zwei Beine, trug keinen Wachmantel mehr, und die Arme, die das Gewehr hielten, waren die eines noch jungen, kraftvollen Mannes. Der Killer ließ ihm keine Chance; er erhob sich halb vom Stuhl hinter dem Tisch und feuerte mit einer geschmeidigen Drehung zur Tür hin in leichtgebückter Haltung aus der Hüfte.
Der Schuß fiel lautlos. Der Widerhall der eigenen Salve dröhnte Valremy noch immer in den Ohren. Das Geschoß zerschmetterte ihm das Brustbein und explodierte. Er fühlte, wie es ihn von innen heraus zerriß und zerfetzte, und spürte das wütende Zustechen von schneidendem Schmerz; und dann spürte er es nicht mehr. Das Licht schwand, als sei es mitten im Sommer Winter geworden. Der Teppich kam auf ihn zu und schlug gegen sein Gesicht - oder war er es, der mit dem Gesicht auf den Teppich schlug? Fühllosigkeit schwemmte über Oberschenkel und Leib nach oben und erreichte Brust und Hals. Das letzte, was er wahrnahm, war ein salziger Geschmack im Mund, wie er ihn vom Baden im Meer bei Kermadec her kannte, und eine einbeinige Seemöwe, die auf einem Pfahl hockte. Dann wurde alles dunkel. Claude Lebel hob den Blick von Valremys Leiche und sah dem anderen Mann in die Augen. Sein Herz machte ihm jetzt keinerlei Schwierigkeiten; es schien gar nicht mehr pumpen zu wollen.
»Schakal«, sagte er. Der andere Mann sagte nur: »Lebel.« Er machte sich an dem Gewehr zu schaffen, dessen Riegel er zurückriß. Lebel sah Metall aufblinken, als die leere Patronenhülse zu Boden fiel. Der Mann griff blitzschnell nach etwas auf der Tischplatte und steckte es in die Gewehrkammer. Noch immer waren seine grauen Augen unverwandt auf Lebel gerichtet.
Er will mich kaltmachen, dachte Lebel, und ein merkwürdiges Gefühl der Unwirklichkeit überkam ihn. Gleich wird er schießen. Er wird mich umbringen.
Er zwang sich, zu Boden zu blicken. Der Junge vom CRS war seitlich hingeschlagen, und der seinen Händen entglittene Karabiner lag Lebel vor den Füßen. Ohne zu überlegen, ließ er sich auf die Knie fallen, packte die MAT 49 und riß sie mit einer Hand hoch, während er mit der anderen nach dem Abzug tastete. Er hörte, wie der Schakal den Verschluß seines Gewehrs zuschnappen ließ, und hatte selbst schon den Abzug gefunden. Er zog ihn durch.
Das ohrenbetäubende Krachen der explodierenden Munition, das den kleinen Raum widerhallend erfüllte, war bis hinaus auf den Bahnhofsvorplatz zu hören. Den noch am gleichen Tag erfolgten Anfragen der Presse wurde entgegnet, es müsse sich um ein Motorrad mit schadhaftem Auspuff gehandelt haben, das irgendein Kerl nur wenige Straßen vom Schauplatz der Gedenkfeier entfernt angelassen habe. Eine
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