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Der Schatten im Norden

Der Schatten im Norden

Titel: Der Schatten im Norden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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war es, die Jims
literarischen Ehrgeiz, der schon durch Groschenromane
wie Tolldreiste Geschichten englischer Teufelskerle oder Jack mit den Stahlfersen, der Schrecken von London geweckt war, auf das Drama gelenkt hatte. Er hatte schon
mehre Schauerstücke geschrieben und sie, weil er sein
Genie nicht an zweitrangigen Bühnen verschwenden
wollte, aus Bewunderung für den großen Schauspieler
und Theaterdirektor Henry Irving gleich bei dessen
Lyceum Theater eingereicht. Bisher hatte er freilich nur
eine bloße Empfangsbestätigung erhalten. Seine Abende
verbrachte er im Varietee, aber nicht unter den
Zuschauern, sondern dort, wo es viel interessanter war ---
hinter der Bühne, bei den Handwerkern,
Kulissenschiebern und Beleuchtern und mehr noch bei
den Schauspielern und Tänzerinnen. Er hatte schon in
verschiedenen Theatern gearbeitet und dabei viel gelernt.
Am Abend des Tages, als Miss Walsh in Sallys Büro
gekommen, hatte er im Britannia Varieteetheater hinter
den Kulissen gestanden und bei den verschiedensten
Arbeiten mit Hand angelegt.
    Und gerade dort sollte er auf ein Geheimnis stoßen.
Einer der Künstler aus dem Programm war ein Magier
namens Alistair Mackinnon --- ein junger Mann, der es in
kürzester Zeit auf Londons Bühnen zu großem Ruhm
gebracht hatte. Zu Jims Aufgaben gehörte es auch, die
Künstler kurz vor ihrem Auftritt aus der Garderobe zu
rufen. Als er an diesem Abend an Mackinnons Tür
klopfte und »Noch fünf Minuten, Mister Mackinnon«
sagte, wunderte er sich, dass keine Antwort kam.
    Er klopfte wieder, diesmal lauter. Immer noch keine
Antwort. Da kein Künstler einen solchen Aufruf
überhören würde, es sei denn, etwas wirklich
Gravierendes wäre geschehen, zögerte Jim nicht, die
Garderobentür zu öffnen und nachzuschauen, ob
Mackinnon auch wirklich da war.
    Er war es: im Abendanzug und kreideweiß geschminkt,
die Augen wie schwarze Kohlen. Er saß auf einem Stuhl
vor dem Schminkspiegel, die Hände fest auf den
Armlehnen. Neben ihm standen zwei Männer, ebenfalls
im Abendanzug; der eine war ein sanft wirkender Herr
mit Goldrandbrille, der andere ein kräftiger Bursche.
Dieser hatte, als Jim hereinschaute, einen Totschläger
hinter sich verbergen wollen, aber nicht an den Spiegel
gedacht: Jim konnte alles genau sehen.
    »Noch fünf Minuten, Mister Mackinnon«, wiederholte
Jim mit rasendem Puls. »Ich dachte, Sie hätten mich
nicht gehört. « »Es ist gut, Jim«, sagte der Magier.
»Würden Sie uns bitte allein lassen. «
    Jim nickte, warf einen flüchtigen Blick auf die beiden
anderen und zog sich zurück. Was mache ich jetzt bloß?,
dachte er.
    In den Kulissen standen einige Bühnenarbeiter und
warteten stumm auf das Ende der Nummer, um die
Szenerie umzubauen. Über den Soffitten lauschten die
Beleuchter auf ihr Stichwort; ihre Aufgabe war es, die
farbige Gelatine vor den Gaslichtlampen zu wechseln
oder die Gaszufuhr zu regeln, je nachdem, wie viel Licht
auf der Bühne gebraucht wurde. Weitere Künstler, die
auf dem Programm standen, warteten ebenfalls hier, denn
Mackinnon galt als phänomenaler Artist, dessen Nummer
sie unbedingt sehen wollten. Während die Sopranistin auf
der Bühne zur letzten Strophe ihres Liedes kam, tappte
Jim durchs Halbdunkel bis zu seinem Platz an dem
großen Eisenrad neben dem Vorhang. Dort stand er dann,
konzentriert und angespannt, mit unruhigen grünen
Augen, die blonden Haare energisch nach hinten
gekämmt. Er trommelte mit den Fingern auf dem
Eisenrad, als er plötzlich eine leise Stimme neben sich
hörte.
    »Jim«, flüsterte Mackinnon aus dem Dunkel, »können
Sie mir helfen?«
Jim drehte sich um und sah hinten im Schatten den
Magier, dessen schwarze Augen im weiß geschminkten
Gesicht funkelten. »Die Männer da drüben... «, sagte
Mackinnon und zeigte zu einer Loge hinüber, wo Jim
zwei Männer, einer davon mit Brille, erkennen konnte.
Sie nahmen gerade ihre Plätze ein. »Die wollen mich
umbringen. Helfen Sie mir, hier herauszukommen,
sobald der Vorhang unten ist. Ich weiß nicht, was ich
machen soll... « »Pst!«, machte Jim. »Bleiben Sie zurück.
Die beiden schauen herüber. «
Vorn auf der Bühne war das Lied zu Ende, die Flöte aus
dem Orchester trillerte ein letztes Mal, dann setzte der
Applaus des Publikums ein. Jims Griff wurde fester.
»Geritzt, ich hol Sie hier raus«, versprach er
Mackinnon. »Achten Sie auf den Weg -«
Er begann das Eisenrad zu drehen, und der Vorhang
senkte sich. »Gehen Sie auf dieser Seite ab«,

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