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Der Schatten im Norden

Der Schatten im Norden

Titel: Der Schatten im Norden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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alte Dame schüttelte
die Hand, die ihr Sally entgegenstreckte. »Nicht so gut«,
sagte sie.
    »Oh, das tut mir Leid«, sagte Sally. »Bitte, nehmen Sie
Platz. « Sie räumte rasch ein paar Akten von einem Stuhl,
dann setzten sich die beiden Frauen vor den Kamin. Der
Hund streckte sich aus und legte den Kopf auf die
Vorderpfoten. »Wenn ich mich recht erinnere --- ich hole
gleich die Akte -, habe ich Sie vergangenes Jahr bei einer
Kapitalanlage beraten«, begann Sally. »Sie wollten
dreitausend Pfund anlegen, richtig? Und ich habe Ihnen
geraten, in eine Schifffahrtsgesellschaft zu investieren. «
»Ich wünschte, Sie hätten es nicht getan«, sagte Miss
Walsh. »Auf Ihre Empfehlung hin habe ich Aktien der
Anglo-Baltischen Schifffahrtsgesellschaft gekauft.
Vielleicht erinnern Sie sich noch. « Sally machte große
Augen. Miss Walsh, die bis zu ihrer Pensionierung viele
Schülerinnen in Geografie unterrichtet hatte und eine
gute Beobachtungsgabe besaß, kannte diesen Blick nur
zu gut. Solche Augen macht jemand, der gerade merkt,
dass er einen Bock geschossen und nun für die Folgen
geradezustehen hat. »Die Ingrid Linde «, fiel es Sally
siedend heiß ein. »Aber natürlich... Und gab es da nicht
einen Dampfer, der gesunken ist? Jetzt weiß ich es
wieder, ich habe darüber in der Times gelesen, oh Gott!«
Sie stand auf und holte einen großen Ordner mit
Zeitungsausschnitten aus dem Aktenregal. Während sie
ihn durchblätterte, ließ Miss Walsh, die Hände im Schoß
gefaltet, ihren Blick durchs Büro schweifen. Es sah
sauber aus, auch wenn die Möbel schon ramponiert und
der Teppich abgewetzt waren. Im Kamin brannte ein
munteres Feuer, daneben sang ein Wasserkessel. Die
Bücher und Aktenordner auf den Regalen und die an der
Wand befestigte Europakarte gaben dem Raum etwas
Seriöses.
    Unterdessen hatte sich Miss Lockharts Miene
verdüstert. Sie strich sich eine blonde Strähne hinters Ohr
und setzte sich wieder, den geöffneten Ordner auf dem
Schoß.
»Die Anglo-Baltische Schifffahrtsgesellschaft ist in
Konkurs gegangen«, sagte sie. »Wie konnte mir das bloß
entgehen... Was ist denn passiert?«
    »Sie haben die Ingrid Linde erwähnt. Noch ein weiteres
Schiff, ein Schoner, kein Dampfer, ging unter. Und ein
drittes haben die russischen Behörden in St. Petersburg
beschlagnahmt, warum, weiß ich nicht, aber die
Gesellschaft musste eine große Summe zahlen, um das
Schiff wiederzubekommen. Da ist vieles passiert. Als
Sie mir den Anlagetipp gaben, war es ein prosperierendes
Unternehmen. Ich war über ihren Rat froh. Aber ein Jahr
darauf war alles vorbei. « »Die Gesellschaft hat den
Besitzer gewechselt, das lese ich zum ersten Mal. Ich
schneide solche Meldungen für mein Archiv aus, aber ich
habe nicht immer Zeit, alles zu lesen. Waren die Schiffe
denn nicht versichert?«
    »Auch da gab es Probleme. Lloyds weigerte sich, für
den Schaden aufzukommen, die Einzelheiten habe ich
nicht verstanden. Da kamen so viele Unglücksschläge so
rasch nacheinander, dass ich schon fast an irgendeinen
Fluch geglaubt habe, an ein böses Schicksal. « Die alte
Dame, die tadellos aufrecht auf dem abgewetzten
Lehnstuhl saß, blickte starr ins Feuer. Dann schaute sie
wieder Sally an. »Selbstverständlich weiß ich, dass das
Unfug ist«, fuhr sie in lebhafterem Ton fort. »Wenn
heute der Blitz bei mir einschlägt, heißt das nicht, dass es
morgen nicht wieder geschehen könnte. So viel verstehe
ich von Wahrscheinlichkeitsrechnung. Aber es ist nicht
leicht, einen klaren Kopf zu behalten, wenn man mit
ansehen muss, wie einem das Geld zwischen den Fingern
zerrinnt, ohne dass man etwas dagegen tun könnte. Mir
bleibt jetzt nur noch eine schmale Rente. Die dreitausend
Pfund waren die Erbschaft meines Bruders, die
Ersparnisse eines ganzen Lebens. «
    Sally wollte etwas sagen, aber Miss Walsh bedeutete
ihr, weiter zuzuhören: »Verstehen Sie mich recht, Miss
Lockhart. Ich will Ihnen nicht die Schuld in die Schuhe
schieben. Wenn ich mit meinem Geld spekuliere, gehe
ich das Risiko ein, es auch zu verlieren. Und damals war
die Anglo-Baltische Schifffahrtsgesellschaft eine
ausgezeichnete Anlage, Ich bin auf Empfehlung von
Mister Temple, dem Rechtsanwalt von Lincolns Inn, zu
Ihnen gekommen. Vor allem aber hat mir die Sache der
Frauenemanzipation immer schon am Herzen gelegen,
und nichts macht mir mehr Freude, als eine junge Frau
wie Sie zu sehen, die ihren Lebensunterhalt selbst
verdient. Ich komme also zu Ihnen wegen eines Rates:
Kann ich

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