Der Schutzengel
prallte von den Erdwänden ab, aber er folgte dem verwickelten Korridor bis zum Ende, wo er auf den durch Vexxon getöteten SS-Führer stieß.
Zehn Schritte dahinter hockte Laura mit gespreizten Beinen im Sand, hatte den Gasbehälter zwischen ihren Schenkeln und hielt ihn mit blutenden Händen umklammert. Ihr Kopf hing herab, ihr Kinn ruhte auf der Brust; sie wirkte schlaff und leblos wie eine Stoffpuppe.
»Laura, nein«, sagte er mit einer Stimme, die er kaum als seine erkannte. »Nein, nein!«
Sie hob den Kopf, starrte ihn blinzelnd an, fuhr zusammen und lächelte endlich schwach. Sie lebte.
»Chris?« fragte er und stieg über den Toten hinweg. »Wo ist Chris?«
Sie stieß den noch immer zischenden Nervengasbehälter von sich weg und rückte zur Seite.
Chris lugte aus der dunklen Nische hinter ihr und erkundigte sich: »Alles okay, Stefan? Du siehst beschissen aus. Entschuldigung, Mom, aber das stimmt wirklich.«
Zum ersten Mal seit über zwanzig Jahren – oder zum ersten Mal seit über fünfundsechzig Jahren, wenn man die mitzählte, der er übersprungen hatte, um in Lauras Gegenwart zu kommen, weinte Stefan Krieger. Er staunte über seine Tränen, denn er hatte geglaubt, durch sein Leben im Dritten Reich unfähig geworden zu sein, jemals wieder um etwas oder jemanden zu weinen. Und was noch erstaunlicher war – diese ersten Tränen seit Jahrzehnten waren Freudentränen.
Bis an ihr seliges Ende
Als die Polizei über eine Stunde später vom Tatort des MP-Überfalls auf den Streifenpolizisten entlang der Staatsstraße 111 weiter nach Norden vorrückte, als sie den von Kugeln durchlöcherten Toyota fand und am Rand des Arroyos blutige Spuren im Sand und Schiefergrund sah, als sie die weggeworfene Uzi entdeckte und Laura und Chris in der Nähe des Buick mit den Nissan-Kennzeichen erschöpft aus der Schlucht heraufklettern sah, erwartete sie, die nähere Umgebung mit Leichen übersät vorzufinden, und wurde nicht enttäuscht. Die ersten drei lagen ganz in der Nähe auf dem Boden der Schlucht, die vierte fand sich in einem entfernten Nebenarm, zu dem die erschöpfte Frau sie führte.
An den darauffolgenden Tagen schien Laura mit den zuständigen Stellen der Ort-, Staats- und Bundespolizei rückhaltlos zusammenzuarbeiten – und trotzdem war keine von ihnen davon überzeugt, daß sie die volle Wahrheit sagte. Nach ihrer Aussage hatten die Drogenhändler, die vor einem Jahr ihren Mann erschossen hatten, nun auch sie durch angeheuerte Killer ermorden lassen wollen, weil sie offenbar fürchteten, sie könnten von ihr identifiziert werden. Lauras Haus bei Big Bear war so brutal überfallen worden, daß sie hatte flüchten müssen, und sie war nicht zur Polizei gegangen, weil sie befürchtet hatte, dort nicht ausreichend Schutz für sich und ihren Sohn zu finden. Seit jenem MP-Überfall am 10. Januar, dem ersten Jahrestag der Ermordung ihres Mannes, war sie 15 Tage lang auf der Flucht gewesen; trotz aller Vorsichtsmaßnahmen hatten die Killer sie in Palm Springs aufgespürt, auf der Staatsstraße 111 verfolgt, von der Fahrbahn in die Wüste abgedrängt und zu Fuß durch die Arroyos gehetzt, wo es Laura schließlich gelungen war, sie zu erledigen.
Diese Story – daß eine Frau vier erfahrene Killer und zumindest einen weiteren erledigt haben sollte, dessen Kopf hinter Brenkshaws Haus entdeckt worden war – hätte unglaublich geklungen, wenn Laura sich nicht als erstklassige Schützin, durchtrainierte Kampfsportlerin und Besitzerin eines illegalen Waffenlagers erwiesen hätte, um das manche Staaten der Dritten Welt sie hätten beneiden können. Bei einem Verhör, in dem es um ihre Bezugsquellen für illegal umgebaute Uzis und ein Nervengas ging, das die U.S. Army strengstens unter Verschluß hielt, sagte sie aus: »Ich schreibe Romane. Umfangreiche Recherchen gehören zu meinem Beruf. Ich habe gelernt, alles herauszubekommen, was mich interessiert, und mir alles zu verschaffen, was ich brauche.« Danach nannte sie ihnen Fat Jack, und die Durchsuchung seines »Pizza Party Palace« förderte alles zutage, was sie angegeben hatte.
»Ich nehme ihr nichts übel«, erklärte Fat Jack der Presse, als er dem Richter vorgeführt wurde. »Sie ist mir nichts schuldig. Keiner von uns ist jemandem was schuldig, das er ihm nicht schuldig sein will. Ich bin ein Anarchist. Ich mag Weibsbilder wie sie. Außerdem muß ich nicht ins Gefängnis. Ich bin zu fett und würde verhungern, und das wäre eine grausame, unübliche
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