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Der Schwarm

Der Schwarm

Titel: Der Schwarm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schätzing
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ihre wahre Natur, und Weaver wird schwindelig. Es ist kein Schwarm kleiner Fische, wie sie gedacht hat, sondern ein einziges, riesiges Wesen mit zehn Armen und einem langen, schlanken Körper.
    Ein Kalmar. Groß wie ein Autobus.
    Die Königin schickt einen hellen Faden aus und berührt die Mitte des Kalmars, und das Wechselspiel der roten Flecken kommt zur Ruhe.
    Was geschieht da?
    Weaver kann den Blick nicht abwenden. Vor ihren Augen glühen Planktonschwärme auf wie Schnee, von unten nach oben fallend. Ein Geschwader neongrüner Tiefseetintenfische zieht vorbei, mit Augen auf Stielen. Blitze zucken über das unendliche Blau, die sich verlieren, wo ihr Licht nicht mehr zu Weaver vordringen kann.
    Sie schaut und schaut.
    Bis mit einem Mal alles zu viel wird.
    Plötzlich erträgt sie es nicht mehr. Sie merkt, dass ihr Boot wieder zu sinken beginnt, dem leuchtenden Mond entgegen, dass sie dieser schrecklich schönen, schrecklich fremden Welt ein weiteres Mal zu nahe kommen könnte, diesmal ohne eine Chance, sie wieder zu verlassen.
    Nein. Nein!
    Rasch schließt sie die immer noch offen stehende Röhre und pumpt Druckluft hinein. Das Sonar zeigt hundert Meter über Grund, abnehmend. Weaver überprüft Innendruck, Sauerstoff, Treibstoff. Keine Fehlermeldungen. Alle Systeme arbeiten. Sie kippt die Seitenflügel und startet die Propeller. Ihr Unterwasserflugzeug beginnt zu steigen, langsam erst, dann immer schneller, entkommt der fremden Welt am Boden des Grönländischen Beckens und strebt dem heimatlichen Himmel zu.
    Rücksturz zur Erde.
    Nie zuvor in ihrem Leben hat Weaver in so kurzer Zeit so viele Gefühlszustände durchgemacht. Plötzlich schießen ihr tausend Fragen durch den Kopf. Wo sind die Städte der Yrr? Wo entsteht ihre Biotechnologie? Wie erzeugen sie Scratch? Was hat sie überhaupt gesehen von der fremden Zivilisation? Was hat man sie sehen lassen? Alles? Oder nichts von allem? War das eine schwimmende Stadt?
    Oder nur ein Wachtposten?
    Was siehst du? Was hast du gesehen?
    Ich weiß es nicht.
     
     
    Geister
    Rauf, runter. Auf, ab.
    Langweilig.
    Die Wellen heben das Deepflight hoch und lassen es wegsacken. Rauf und runter. Auf und ab. Es treibt an der Oberfläche, eine ganze Weile, nachdem Weaver vom Grund des Beckens gestartet ist. Ein bisschen fühlt sie sich wie in einem schizophrenen Fahrstuhl. Auf, ab. Auf, ab. Es sind hohe, aber gleichmäßige Wellen. Selten ein Kamm, der sich bricht, eher eintöniges, in stete Bewegung geratenes, graues Schiefergebirge.
    Die Kuppel zu öffnen, wäre zu gefährlich. Das Deepflight würde augenblicklich voll laufen. Also bleibt sie einfach liegen und starrt hinaus in der Hoffnung, dass sich die See irgendwann beruhigt. Sie hat noch einiges an Treibstoff. Nicht genug, um es bis nach Grönland oder Svalbard zu schaffen, aber wenigstens in die Nähe davon. Solange es stürmt, wird sie die Reserven schonen – es wäre sinnlos, gegen die Wogen anzufahren, und abtauchen möchte sie nicht mehr. Sobald es ruhiger wird, kann sie sich auf Kreuzfahrt begeben. Wohin auch immer.
    Sie weiß nicht wirklich, was sie erlebt hat. Aber wenn das Wesen dort unten zu dem Schluss gekommen ist, dass Menschen etwas mit Yrr gemeinsam haben, und sei es nur den Duft, mag das Gefühl die Logik besiegt haben. Dann wurde der Menschheit Zeit geschenkt. Ein Kredit, zurückzahlbar in gutem Willen, Einsicht und Taten. Eines Tages werden die Yrr zu einem neuen Konsens gelangen, weil ihre Herkunft und Entwicklung, ihr ganzer Fortbestand auf Konsens gründet, und dann wird die Menschheit entschieden haben, wie dieser Konsens ausfällt.
    An mehr mag Weaver nicht denken. Nicht an Sigur Johanson, nicht an Sam Crowe und Murray Shankar, nicht an die Toten, an Sue Oliviera, Alicia Delaware, Jack Greywolf. Nicht an Salomon Peak, Jack Vanderbilt, Luther Roscovitz, an niemanden, nicht mal an Judith Li.
    Nicht an Leon, weil Denken Angst bedeutet.
     
    Aber dann denkt sie doch.
    Einer nach dem anderen stellen sie sich ein, als kämen sie zu einer Party, nehmen Platz in ihrem Kopf und machen sich breit.
    »Die Gastgeberin ist voller Liebreiz«, sagt Johanson. »Aber es würde ihr anstehen, einen vernünftigen Wein an Bord zu haben.«
    »Was erwartest du von einem Tauchboot?«, kontert Oliviera trocken. »Einen Weinkeller?«
    »Es gibt Dinge, die man verlangen kann.«
    »Mensch, Sigur.« Anawak schüttelt lachend den Kopf. »Du solltest ihr gratulieren. Gerade hat sie die Welt gerettet.«
    »Sehr löblich.«
    »Hat

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