Der Schwur der Königin
und Seide. Das Bild verblasste so schnell, wie es gekommen war, ein Phantom aus der Vergangenheit; und als Alfonso, der mit Don Chacón ein Stück vorausgeritten war, mir zuwinkte, vergaß ich, dass ich auf einem mir nicht vertrauten und möglicherweise gefährlichen Pferd saß, und rammte ihm die Fersen in die Rippen.
Canela schlug mit den Hinterbeinen aus, und ich kippte nach vorn auf seinen anmutig gewölbten Hals. Instinktiv klammerte ich mich an seine Mähne, stemmte mich aus dem Sattel hoch und spannte die Oberschenkel an. Darauf reagierte Canela mit einem zufriedenen Schnauben. Er galoppierte, ockerfarbenen Staub aufwirbelnd, an Alfonso vorbei.
»Dios mío!« , hörte ich Alfonso rufen, als ich an ihm vorbeipreschte. Aus dem Augenwinkel sah ich Beatriz hinter mir näher kommen und hörte sie meinem Bruder und dem verdutzten Don Chacón zurufen: »Erfahrung macht den Meister, was?«
Ich lachte hell auf.
Ich fühlte mich großartig. So hatte ich mir das Fliegen vorgestellt: alles hinter mir lassen, den Verdruss über den Unterricht und die Hausaufgaben, die kalten Steinplatten der Burg, die ewigen Körbe voller Sachen zum Stopfen, das ständige Gebrummel über Geldsorgen und den wechselhaften Gesundheitszustand meiner Mutter; frei zu sein und die Bewegungen des Pferdes unter mir zu genießen, und all das mitten in der herrlichen kastilischen Landschaft.
Als ich endlich keuchend auf einer Bergkuppe, mit Blick über die Ebene, zum Stehen kam, hing meine Reithaube nur noch an ihren Bändern über dem Rücken, und mein Haar hatte sich gelöst. Ich ließ mich von Canela herabgleiten und tätschelte ihm den schweißnassen Hals. Er beschnupperte meine Handfläche, ehe er sich daranmachte, an den dürren Dornensträuchern zu knabbern, die zwischen den Felsen wuchsen. Ich setzte mich auf einen Steinhaufen, von wo aus ich verfolgte, wie Beatriz den Grat erklomm. Als sie schließlich, von der Anstrengung erhitzt, ihr Pferd anhielt, sagte ich: »Du hattest recht. Wir hatten die Bewegung tatsächlich nötig.«
»Bewegung?«, japste sie und glitt aus dem Sattel. »Ist Euch bewusst, dass wir Seine Hoheit und Chacón soeben in einer Staubwolke zurückgelassen haben?«
Ich lächelte. »Beatriz de Bobadilla, muss bei dir alles ein Wettkampf sein?«
Sie stemmte die Hände in die Hüften. »Wenn es darum geht, unseren Wert zu beweisen – ja. Wenn wir das nicht selbst tun, wer dann?«
»Es ist also deine Kraft, die du beweisen willst«, sinnierte ich. »Hm. Erkläre mir das.«
Beatriz ließ sich neben mir zu Boden plumpsen, die Augen auf die sinkende Sonne gerichtet. In dieser Jahreszeit zog sich der Sonnenuntergang in Kastilien immer lange hin, was uns ein spektakuläres Schauspiel mit golden umrandeten Wolken und einem mit Violett und Purpur übergossenen Himmel bescherte. Der aufkommende Abendwind wehte durch Beatriz’ zerzaustes Haar. Ihre ausdrucksvollen Augen, die jeden ihrer Gedanken sofort verrieten, blickten wehmütig. »Ich möchte beweisen, dass wir genauso fähig sind wie jeder Mann und darum dieselben Privilegien genießen sollten.«
Ich runzelte die Stirn. »Wozu sollte das gut sein?«
»Damit wir ein Leben nach unseren eigenen Vorstellungen führen können, so wie Seine Hoheit.«
»Alfonso führt doch kein Leben nach seinen eigenen Vorstellungen.« Ich rückte meine Haube zurecht und stopfte die Bänder unter das Mieder. »Eigentlich genießt er bedeutend weniger Freiheit, als du glaubst. Heute ist das eine Ausnahme; sonst bekomme ich ihn kaum noch zu sehen, so sehr nehmen ihn seine Schwertkämpfe, das Bogenschießen und die Turniere in Anspruch, ganz zu schweigen von seinen Studien. Er ist ein Prinz. Da hat er viele Pflichten und wenig Zeit.«
Sie zog eine Schnute. »Ja, aber es sind wichtige Pflichten. Mehr, als nur zu lernen, wie man näht, Butter schlägt oder Schafe in den Pferch treibt. Wenn wir wie Männer leben könnten, dann hätten wir die Freiheit, durch die Welt zu ziehen und edle Taten zu vollbringen – so wie ein fahrender Ritter oder die Jungfrau von Orléans.«
Ich verbarg die ungewollte Erregung, die ihre Worte in mir auslösten. Seit jener schrecklichen Nacht vor zehn Jahren, als meine Mutter, Alfonso und ich aus Valladolid geflohen waren, hatte ich mich darin geschult, meine Gefühle zu verbergen, zumal ich mittlerweile viel besser verstand, was damals geschehen war. Wir waren in Arévalo nicht so hermetisch von der Welt abgeschnitten, dass nicht doch gelegentlich über die
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