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Der Sixtinische Himmel

Der Sixtinische Himmel

Titel: Der Sixtinische Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Morell
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Adern.
    Nach den Alten kamen die Jungen an die Reihe. Zunächst der Blonde mit den Fischaugen. Er sah Aurelio lange an, bevor er sich erhob. Aurelio bemerkte die bläulichen Adern unter seiner milchigen Gesichtshaut, die wie aufgemalt aussahen. Er hängte seinen Schulterpanzer über die Stuhllehne und verließ den Wohnraum, als folge er einer unhörbaren Stimme. Der andere Junge, der mit dem weichen Gesicht und den warmherzigen Augen, hielt seinen Blick zu Boden gerichtet. Seine Finger kratzten nervös am Tischbein herum.
    Antonias Schrei fuhr Aurelio bis in die Spitzen seiner Finger und Zehen hinein. So hatte sie bei keinem der anderen geschrien. Dies war kein Schmerzensschrei, dies war Panik, Entsetzen, Flehen. Ein Ruck durchfuhr ihn, doch bevor er aufspringen und seiner Mutter zu Hilfe eilen konnte, brachte ihn die Klinge an seinem Hals bereits an den Tisch zurück. Aurelio wünschte sich, der Dicke würde ihm mit seinem Dolch das Herz durchbohren, damit es endlich zu schlagen aufhörte. Doch es schlug unbarmherzig weiter. Die anderen blickten unbeteiligt in die Gegend, während das Kinn des jungen Söldners noch weiter auf die Brust sank.
    Als der Blonde zurückkehrte, um wieder seinen Platz gegenüber dem von Aurelio einzunehmen, ließ er die einzige menschliche Regung erkennen, die Aurelio an ihm sehen sollte: Er lächelte. Seine Augen jedoch waren Stein gewordenes Eis. Der Geruch von Blut klebte an ihm.
    »Was ist?«, murrte der Anführer in Richtung des anderen Nachwuchssöldners.
    Widerstrebend stand der Junge mit den braunen Augen auf, mied den Blick seiner Mitstreiter und verließ gesenkten Hauptes das Haus. Nur wenig später kehrte er mit schweren Schritten zurück, setzte sich an seinen Platz und starrte wieder auf die Stelle zwischen seinen Füßen.
    »Du kannst jetzt gehen«, sagte der Narbige mit dem schiefen Lächeln.
    Er musste seine Aufforderung wiederholen, ehe Aurelio begriff, dass er gemeint war.
    »Und lass dir nicht einfallen, noch einmal herzukommen. Heute Nacht gehört das Haus uns.«
    Das Letzte, was Aurelio wahrnahm, bevor er das Haus verließ, waren die blutigen Finger, mit denen der Blonde seinen, Aurelios, Lieblingsbecher zum Mund führte.
    * * *
    Einer der Söldner hatte die Pferdedecke über Antonia gebreitet. Es war nicht schwer zu erraten, welcher. Aurelio konnte den Sanftmütigen mit den dunklen Augen vor sich sehen, wie er zögerlich den Stall betrat, seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt fand, die alte Decke vom Gatter nahm, sie über Antonias leblosen Leib breitete und sich schnellstmöglich von ihr abwand. Was brachte jemanden mit einem so weichen Herzen dazu, Söldner zu werden?
    Aurelio verharrte vor der steinernen Schwelle wie vor einer unsichtbaren Schranke. Wäre da nicht das viele Blut gewesen, das das Stroh, auf dem seine Mutter lag, braun gefärbt hatte, hätte man glauben können, sie schliefe. Aurelio wusste, dass sie tot war, noch ehe er den Stall betrat. Der Geruch ihres Blutes kroch ihm unter die Haut. Schließlich trat er über die Schwelle und schloss die Tür. Ein eiserner Reif legte sich ihm um die Brust, und er musste sich gewaltsam aufrichten, um Atem zu holen. Ihre Worte vom Mittag kamen ihm in den Sinn: Manche töten schon aus Langeweile. Aurelio kauerte sich neben Antonia auf den gestampften Lehmboden. Dort blieb er. Wenigstens im Tod wollte er ihr beistehen.
    Nach und nach senkte sich die Dämmerung auf den Stall herab. Die Ritzen zwischen den Brettern verdüsterten sich, aus Blau wurde Grau, der Raum zog sich in die Dunkelheit zurück und löste sich schließlich auf. Aus der Senke drangen Geräusche zu Aurelio herauf. Geräusche aus einer anderen Welt. Die Söldner brieten ihre Schweine, tranken ihren Wein, verfeuerten ihr Holz, pissten zigfach gegen jeden Olivenbaum, füllten die Senke mit ihren Exkrementen. Nur Trotula hatten sie am Leben gelassen. Anders als Aurelios Mutter war ihnen die Geiß tatsächlich zu alt gewesen. Jetzt lag sie zu Antonias Füßen und leckte ihr von Zeit zu Zeit die Zehen, die unter der Decke hervorlugten. Wie bei einem Lämmchen. Aurelio spürte weder Hunger noch Durst, noch die Kälte um sich herum – nur eine schwarze Leere von solcher Kraft, dass er gar nicht erst den Versuch unternahm, sich gegen sie zur Wehr zu setzen. Falls er in dieser Nacht an irgendetwas dachte, so wusste er später nichts mehr davon.
    * * *
    Im Morgengrauen erhob sich Gemurmel. Harnische wurden geschnürt, Befehle gerufen, die nächtliche

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