Der Sommer des Commisario Ricciardi
Schluchzen aus. Ihr Mann berührte sie am Arm, wie um sie zu stützen. Nun sprach Ricciardi:
»Bleiben Sie alle drei verfügbar, und bitte verlassen Sie in keinem Fall das Haus. Gibt es außer dem Tor noch einen weiteren Ausgang? Dienstboteneingänge, Kellerzugänge, also irgendwelche anderen Türen?«
»Nein, Commissario, keinen anderen Ausgang. Das Tor ist der einzige Weg nach draußen – sofern man nicht gerade aus dem Fenster springen möchte, doch das niedrigste ist etwa sechs Meter hoch.«
Ricciardi schaute hinauf zur Treppe. Er seufzte unmerklich.
»Gehen wir nach oben. Signora Sivo, bitte zeigen Sie uns, was Sie gefunden haben.«
Das kleine Grüppchen setzte sich in Bewegung.
Die Jasminhecke ist wundervoll im Sommer. Nicht nur wegen ihres Dufts, den ich Tag und Nacht riechen könnte, ein süßer, leichter Geruch, den man sogar nach einer Stunde noch in der Nase hat. Nein, vor allem wegen der Farben, dem kräftigen Grün und dem Weiß der spitzen Blüten, mit dem es gesprenkelt ist. Ich mag ihre Dichte, mag es, dass sie die Sicht auf die Terrasse verdeckt, dass man von draußen, sogar vom Glockenturm der gegenüberliegenden Kirche den Eindruck hat, dieser Platz hier und das Haus schwelgten in grünen Blättern und weißen Blüten. Man könnte glauben, es sei ein schöner Ort. Ohne Schmerz. Ohne zu erkennen, dass es in Wahrheit den Tod beherbergt.
Nach dem ersten Treppenlauf befand sich rechts ein Gittertor, das die Beletage abschloss. Dahinter war eine weit geöffnete Tür zu sehen. Das Gittertor war angelehnt, undan einem der Türflügel hing eine große offene Kette, ein Riegel war bis zum Ende vorgeschoben.
Linker Hand führte die Treppe weiter nach oben. Ricciardi fragte:
»Wohin führt die Treppe? Was ist da oben?«
Die Haushälterin antwortete wispernd:
»Zuerst kommen unsere Zimmer, meines, das des Pförtners und des Dienstmädchens mit ihren vier Kindern. Weiter oben ist die Wohnung des jungen Herrn, des Sohns des Herzogs.«
»Und wer wohnt auf dieser Etage?«
»Hier wohnen nur die Herrschaften. Der Herzog liegt im Bett, er ist sehr krank. Sein Zimmer ist ganz hinten im anderen Teil des Hauses. Und das Zimmer der Herzogin liegt auf dieser Seite.«
Der Treppenabsatz lag im Schatten, trotzdem war die Hitze mörderisch. Die Glocken hatten endlich aufgehört zu läuten; von irgendwoher hörte man eine Frau singen, sonst war es still. Ricciardi fragte:
»Wo haben Sie die Leiche gefunden?«
Beim Wort »Leiche« schniefte Sciarras Frau noch lauter in ihr Taschentuch. Ihr Mann hatte ihr die Hand auf die Schulter gelegt, sein Hut saß ihm schief auf der Stirn. Concetta antwortete:
»Direkt hier, im ersten Zimmer. Dem Vorzimmer eigentlich. Auf dem Diwan.«
»Haben Sie etwas angefasst? Ist alles so, wie es war?«
»Nein, ich glaube nicht. Das heißt, ich habe die Herzogin berührt, habe sie beim Namen gerufen. Danach habe ich Mariuccia gerufen und Mariuccia hat Peppino geholt. Wir haben versucht, sie zu wecken, aber dann haben wirgesehen … gemerkt … na ja, am besten Sie gehen rein und schauen selbst, was wir gesehen haben.«
Ricciardi blickte zur halboffenen Tür. Es war eine Sache, sich zufällig mit seiner Gabe konfrontiert zu sehen, während man auf der Straße lief oder an einer Unfallstelle vorbeiging, eine andere jedoch, solche Konfrontationen bewusst zu suchen.
Er nickte Maione zu; der Brigadiere kannte die Vorgehensweise des Kommissars, die immer gleich war. Er betrat den Tatort zunächst allein, blieb einige Minuten dort und kam dann wieder heraus. Ganz einfach. Maione musste nur an der Tür stehen bleiben und aufpassen, dass niemand hineinging.
Um nichts auf der Welt hätte er einen Tatort mit dem Kommissar gemeinsam als Erster betreten wollen. Maione, der große dicke Brigadiere, der sich vor nichts fürchtete und seinen Vorgesetzten sehr mochte, hätte dazu nicht den Schneid gehabt. So einfach war das.
Am Ende des Korridors ruhte der todkranke Matteo Musso Herzog von Camparino und lauschte in die Stille, die nur von seinem Röcheln durchdrungen wurde. Es war ungewöhnlich, dass es an einem Sonntag so ruhig zuging. Hinter den geschlossenen Fensterläden hätte man das Lachen spielender Kinder hören müssen, schwatzende Frauen beim Verlassen der Kirche, die Rufe der Süßwarenverkäufer mit ihrer Mischung aus Nüssen, Kernen und Lupinen, auf die man sich in den Familien als Nachtisch freute.
Nach Leben hätte es sich anhören müssen. Demselben Leben, das ihn
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