Der Sommer des Commisario Ricciardi
auf der anderen Seite deutliche Brandzeichen trug, die Zeichen, die er um das Loch auf der Stirn der Toten vermisst hatte. Der Mörder hatte durch das Kissen geschossen.
Wenn man einmal vom Gesicht der Herzogin absah, hätte sie auch einfach nur eingeschlafen sein können; weich gebettet lag sie auf dem Sofa, nur ein wenig gereckt,mit ausgestreckten Beinen und den Händen im Schoß. Ricciardi trat näher und stellte fest, dass sie an der linken Hand keine Ringe trug, Abdrücke von Ringen aber sowohl am Mittel- als auch am Ringfinger zu sehen waren. Der Mittelfinger schien sogar gebrochen oder zumindest ausgerenkt zu sein, auch wenn auf Anhieb keine Blutergüsse zu erkennen waren. Man musste auf den Gerichtsmediziner und den Fotografen warten, bevor die Leiche bewegt wurde; die Todesursache war allerdings nur allzu offensichtlich; das bezeugte das Einschussloch auf der Stirn genau zwischen den halb geschlossenen Augen.
Maione hatte sich keuchend neben dem Sofa niedergekauert und versuchte, unter das Möbelstück zu schau-en.
»Wo steckst du bloß, du kleines, vermaledeites … ah, da ist sie ja. Da ist die Patronenhülse, dort unter dem Sofa, genau wie ich es mir gedacht habe.«
»Gut gemacht, Raffaele. Aber nicht anfassen bitte; warten wir auf den Fotografen. Bis dahin lass doch die Sivo herkommen, hören wir mal, was sie zu sagen hat.«
Die massige Haushälterin betrat schweigend das Zimmer. Sie warf einen flüchtigen Blick auf die Leiche der Herzogin und schaute gleich darauf wieder weg, wobei sie zwar weiß im Gesicht wurde, ansonsten aber gefasst blieb. Ricciardi, der mit den Händen in den Taschen dastand, sah ihr längere Zeit beim Schwitzen zu, ohne zu sprechen; er suchte nach weiteren Anzeichen von Unbehagen, fand aber keine.
»Nun, Signora, erzählen Sie mir, wie Sie die Leiche der Herzogin gefunden haben.«
»Ich stehe früh auf, so gegen sechs. Wenn ich nicht zumMarkt muss oder andere Erledigungen zu machen habe wie heute am Sonntag, bleibe ich eine Weile in meinem Zimmer und räume auf. Dann gehe ich zur ersten Messe, um sieben.«
»Also haben Sie auch heute Morgen um sieben das Haus verlassen.«
»Nein, heute Morgen wollte ich erst nach dem Rechten sehen. Gestern Abend, ich weiß nicht, ob Sie’s wissen, war das Fest der Santa Maria Regina. Bei der Feier geht’s drunter und drüber, die Leute werfen ihren Dreck vors Tor, und auf dem Platz wird ein Feuer angezündet. Ich wollte Mariuccia anweisen, ein wenig sauber zu machen.«
Ricciardi versuchte, die Uhrzeiten zu rekonstruieren.
»Und beim Hinausgehen kommen Sie am Vorzimmer vorbei?«
»Ja, zwangsläufig. Abends, wenn ich schlafen gehe, schließe ich das Vorhängeschloss des Gittertors hier draußen. Die Signora, die meistens spät nach Hause kommt, legt die Schlüssel des Riegels in diese Schublade«, sie zeigte auf eine Konsole neben der Eingangstür, »so kann ich morgens öffnen und Mariuccia reinlassen, damit wir sauber machen können.«
»Und das Vorhängeschloss schließen Sie mit Ihrem eigenen Schlüssel?«
Die Sivo schüttelte den Kopf.
»Nein, ich besitze keinen Schlüssel zu dem Schloss. Ich lasse es zuschnappen und morgens nehme ich die Schlüssel aus der Schublade. Bei der Gelegenheit werfe ich einen Blick ins Vorzimmer, normalerweise ist alles in Ordnung. Nur diesmal war da … war da die Herzogin.«
»Was haben Sie dann getan?«
Die Frau sprach weiterhin leise, doch ihr Gesichtsausdruck verriet ihre starke Erregung.
»Ich dachte, sie sei auf dem Sofa eingeschlafen, in ih-ren Kleidern. Es ist schon vorgekommen, dass die Herzogin … manchmal kam sie sehr müde nach Hause.«
Ricciardi beschloss, die Dinge beim Namen zu nennen.
»Sie meinen betrunken?«
»Ich weiß nicht, Commissario. Es geht mich nichts an, und wenn mich etwas nichts angeht, schaue ich weg.«
Ricciardi sah ihr fest in die Augen.
»Aber diesmal konnten Sie nicht wegschauen. Was haben Sie getan, als sie merkten, dass die Herzogin nicht schlief?«
»Ich bin rausgegangen und habe Sciarra gerufen. Ich habe ihn angewiesen hochzukommen und bei der Herzogin zu bleiben. Dann bin ich nach oben gegangen und habe Herrn Ettore gerufen.«
Ricciardi bemühte sich, die Ereignisse genau zu rekonstruieren.
»War das Gittertor schon offen oder haben Sie es geöffnet?«
Die Sivo wirkte überrascht. Sie zog die Stirn in Falten.
»Es war offen. Jetzt, wo Sie danach fragen – das Tor war offen und der Riegel vorgeschoben, wie ich es tagsüber lasse.«
»Fahren Sie
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