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Der Spinnenmann

Der Spinnenmann

Titel: Der Spinnenmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terje Emberland
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Ich blieb wie vom Blitz getroffen stehen. Lennart trat aufs Gaspedal. Das riesige Fahrzeug fuhr auf die Kreuzung hinaus und verschwand dann in hohem Tempo in Richtung Jernbanetorv.
     
    Ich rieche Lunte
     
    Seit Lennart mich aus der Affäre mit der »Wurstpelle« gerettet hatte, war er zu hundert Prozent ein loyaler Freund gewesen. Ich muss diese peinliche Geschichte wohl erwähnen, bei der es um eine ungewöhnlich enge und versnobte Hose geht, die meine wohlmeinende Mutter mir zum vierzehnten Geburtstag gekauft hatte. Sie konnte ja nicht ahnen, dass diese Hose meinen Schulalltag zur puren Hölle machen würde. Wo ich auch ging und stand, immer hatte ich eine Traube von Mitschülern hinter mir, die riefen: »Wurstpelle! Wurstpelle!«
    Eines Tages mischte Lennart sich ein. Er war mir natürlich schon früher aufgefallen, ein hübscher, selbstsicherer Junge, ein wenig älter als ich und bei beiden Geschlechtern beliebt. Ich war überzeugt davon, dass er sich zu meinen Quälgeistern gesellen würde, und mochte meinen Augen kaum trauen, als er mich stattdessen aus dieser Demütigung rettete.
    Es ist nämlich so, dass Lennart einen kleinen Schönheitsfehler hat. Der fällt den wenigsten auf, wenn sein hübsches Gesicht in Großaufnahme auf der Kinoleinwand auftaucht. Ich rede hier von seinen Ohren. Die haben das gleiche Format wie die von Clark Gable, stehen aber bei Weitem nicht so ab. Damals vor sieben Jahren sorgte er dafür, dass die gesamte Bjolsen-Schule sich für den Rest ihres Lebens an seine Kohlblätter erinnern würde. Er legte die Hände hinter die Ohren und klappte sie vor aller Augen vor, dabei sprang er auf und ab und schnitt die albernsten Grimassen. Der ganze Schulhof brüllte vor Lachen. Und Lennart rief triumphierend: »Warum kümmert ihr euch um einen Clown in einer engen Hose, wo ihr doch einen waschechten Affen zur Hand habt?«
    Seit jenem Tag waren wir unzertrennlich. Mit Lennart an meiner Seite hätte ich vermutlich auch in Unterhosen über den Schulhof gehen können, ohne dass irgendwer das kommentiert hätte.
    Ich habe ihn oft nach der Affengeschichte gefragt, aber niemals eine richtige Erklärung erhalten. Ich glaube allerdings, dass Lennart sich einbildete, ich trüge die Wurstpelle aus freien Stücken. Er hielt mich für einen Rebellen gegen das unerschütterliche Gebot der Jungs von Sagene, niemals anders zu sein als andere. In versnobter Westendkleidung umherzustolzieren war der unverzeihlichste Verstoß gegen diese Regeln. Mit solchem Aufruhr konnte Lennart sich identifizieren.
    Später sollte er sich von uns allen distanzieren, indem er seine eigenen Wege ging.
     
    Jetzt musste ich also erleben, dass eben dieser Lennart mich wie Luft behandelte! Es war ein Mysterium. Egal, wie sehr ich mir auch den Kopf zerbrach, ich fand keine Erklärung für sein Verhalten.
    Ein Anfang war es, festzustellen, woher der Spinnenmann gekommen war. Aber ehe ich die Gasse betreten konnte, verspürte ich einen festen Griff um meinen Arm. Hinter mir stand der Ofenjunge und rang um Atem.
    »Du hast es ja vielleicht eilig«, sagte er. »Ich habe dich gerufen, als du bei Arntsen rausgestürzt bist, aber du hast mich nicht gesehen …«
    »Ja, ja«, erwiderte ich ungeduldig. »Hast du mir etwas auszurichten?«
    Der Ofenjunge war das Faktotum bei Arbeiderbladet. Er döste meistens auf einem Stuhl beim Holzofen, bis der Redakteur entdeckte, dass er ihn brauchte. Dann wurde der Ofenjunge losgeschickt, ob er nun einen Tipp über eine Tabakbeschlagnahmung in der Tollbodgate überprüfen oder ein ausländisches Regierungsmitglied, das zu einem überraschenden Besuch in Norwegen eingetroffen war, interviewen sollte. In der Regel musste er sich aber mit weniger wichtigen Aufgaben begnügen und zum Beispiel Mitteilungen der Redaktion an Mitarbeiter im Feld weiterreichen. So auch an jenem Tag.
    »Mr. George sagt, du sollst Bürochef Brodin über den Wilhelmshoi-Brand interviewen«, sagte er. »Und du hast nicht viel Zeit. Brodin erwartet dich in einer halben Stunde an der Brandstelle.«
    Da konnte ich nur gehorchen. Ich reichte ihm den Karton mit den Nagelschuhen.
    »Kannst du das mit zurück in die Redaktion nehmen? Leg es in meine Schublade, ehe irgendwer sich daran vergreift. Hörst du? Das gilt auch für dich!«
    Sowie ich allein war, winkte ich einer Kraftdroschke, die die Vognmannsgate heraufkam. Aber ehe ich hineinspringen konnte, hörte ich den Ofenjungen wieder rufen. Er kam mit einem Briefumschlag in der

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