Der Steppenwolf
seine geistigen Spielereien ihm noch Spaß gemacht und Ruhm eingebracht hatten. Genauso sehnten sich die von ihm verachteten und verhöhnten Zeitungsleser nach der idealen Zeit vor dem Krieg zurück, weil das bequemer war, als aus dem Erlittenen zu lernen. Pfui Teufel, er war zum Erbrechen, dieser Herr Haller! Und dennoch klammerte ich mich an ihn oder an seine schon sich auflösende Larve, an sein Kokettieren mit dem Geistigen, an seine Bürgerfurcht vor dem Ungeordneten und Zufälligen (wozu auch der Tod gehörte) und verglich den werdenden neuen Harry, diesen etwas schüchternenund komischen Dilettanten der Tanzsäle, höhnisch und voll Neid mit jenem einstigen, verlogen-idealen Harrybild, an welchem er inzwischen alle fatalen Züge entdeckt hatte, die ihn damals an des Professors Goethe-Radierung so sehr gestört hatten. Er selbst, der alte Harry, war genau solch ein bürgerlich idealisierter Goethe gewesen, so ein Geistesheld mit allzu edlem Blick, von Erhabenheit, Geist und Menschlichkeit strahlend wie von Brillantine und beinahe über den eigenen Seelenadel gerührt! Teufel, dies holde Bild hatte nun allerdings arge Löcher bekommen, kläglich war der ideale Herr Haller demontiert worden! Wie ein von Straßenräubern geplünderter Würdenträger in zerfetzten Hosen sah er aus, der klug daran getan hätte, jetzt die Rolle des Abgerissenen zu lernen, der aber seine Lumpen trug, als hingen noch Orden dran, und die verlorene Würde weinerlich weiter prätendierte.
Immer wieder traf ich mit dem Musikanten Pablo zusammen, und mein Urteil über ihn mußte schon darum revidiert werden, weil Hermine ihn so gern hatte und seine Gesellschaft eifrig suchte. Ich hatte Pablo in meinem Gedächtnis als eine hübsche Null verzeichnet, einen kleinen, etwas eitlen Beau, ein vergnügtes und problemloses Kind, das mit Freude in seine Jahrmarktstrompete faucht und mit Lob und Schokolade leicht zu regieren ist. Aber Pablo fragte nicht nach meinen Urteilen, sie waren ihm ebenso gleichgültig wie meine musikalischen Theorien. Höflich und freundlich hörte er mich an, immerzu lächelnd, gab jedoch nie eine wirkliche Antwort. Dagegen schien ich trotzdem sein Interesse erregt zu haben, er gab sich sichtlich Mühe, mir zu gefallen und mir Wohlwollen zu zeigen. Als ich bei einem dieser ergebnislosen Gespräche einmal gereizt und beinahe grob wurde, sah er mir bestürzt und traurig ins Gesicht, nahm meine linke Hand und streichelte sie, und bot mir aus einer kleinen vergoldeten Dose etwas zum Schnupfen an, das werde mir guttun. Ich fragte Hermine mit einem Blick, sie nickte ja, und ich nahm und schnupfte. In der Tat wurde ich in kurzem frischer und munterer, wahrscheinlich war etwas Kokain in dem Pulver gewesen. Hermine erzählte mir, daß Pablo viele solche Mittel habe, die er auf geheimen Wegen erhalte, die er zuweilen Freunden vorsetze und in deren Mischung und Dosierung er ein Meister sei: Mittel zum Betäuben von Schmerzen, zum Schlafen, zurErzeugung schöner Träume, zum Lustigmachen, zum Verliebtmachen.
Einmal traf ich ihn auf der Straße, am Kai, und er schloß sich mir ohne weiteres an. Diesmal gelang es mir endlich, ihn zum Sprechen zu bringen.
»Herr Pablo«, sagte ich zu ihm, der mit einem dünnen schwarz und silbernen Stöckchen spielte, »Sie sind ein Freund von Hermine, dies ist der Grund, weshalb ich mich für Sie interessiere. Aber Sie machen mir, das muß ich sagen, die Unterhaltung nicht eben leicht. Ich habe mehrmals den Versuch gemacht, mit Ihnen über Musik zu sprechen – es hätte mich interessiert, Ihre Meinung, Ihren Widerspruch, Ihr Urteil zu hören; aber Sie haben es verschmäht, mir auch nur die geringste Antwort zu geben.«
Er lachte mich herzlich an und blieb diesmal die Antwort nicht schuldig, sondern sagte gleichmütig: »Sehen Sie, es hat nach meiner Meinung gar keinen Wert, über Musik zu sprechen. Ich spreche niemals über Musik. Was hätte ich Ihnen denn auch antworten sollen auf Ihre sehr klugen und richtigen Worte? Sie hatten ja so sehr recht mit allem, was Sie sagten. Aber sehen Sie, ich bin Musikant, nicht Gelehrter, und ich glaube nicht, daß in der Musik das Rechthaben den geringsten Wert hat. Es kommt ja in der Musik nicht darauf an, daß man recht hat, daß man Geschmack und Bildung hat und all das.«
»Nun ja. Aber auf was denn kommt es an?«
»Darauf, daß man musiziert, Herr Haller, daß man so gut und so viel und so intensiv wie möglich musiziert! Das ist es, Monsieur. Wenn ich
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