Der Steppenwolf
angehört – es war ein schöner und wehmütiger Ausflug in mein ehemaliges Leben gewesen, in die Gefilde meiner Jugend, in die Gebiete des idealen Harry. Im hohen gotischen Raum der Kirche, deren schöne Netzgewölbe im Spiel der wenigen Lichter geisterhaft lebendig hin und wider schwangen, hatte ich Stücke von Buxtehude, Pachelbel, Bach, Haydn gehört, war die geliebten alten Wege wieder gegangen, hatte die herrliche Stimme einer Bachsängerin wieder gehört, mit der ich einst befreundet gewesen war und viele außerordentliche Aufführungen erlebt hatte. Die Stimmen der alten Musik, ihre unendliche Würde und Heiligkeit hatte mir alle Erhebungen, Entzückungen und Begeisterungen der Jugend wachgerufen, traurig und versunken saß ich im hohen Chor der Kirche, für eine Stunde zu Gast in dieser edlen, seligen Welt, die einst meine Heimat gewesen war. Bei einem Haydnschen Duett waren mir plötzlich die Tränen gekommen, ich hatte den Schlußdes Konzertes nicht abgewartet, hatte auf das Wiedersehen mit der Sängerin verzichtet (o, wie viele strahlende Abende hatte ich einst nach solchen Konzerten mit den Künstlern hingebracht!), hatte mich aus dem Münster hinweggeschlichen und in den nächtlichen Gassen müde gelaufen, wo da und dort hinter den Fenstern der Restaurants Jazzkapellen die Melodien meines jetzigen Lebens spielten. O, was für ein trübes Irrsal war aus meinem Leben geworden!
Lange hatte ich auf diesem Nachtgang auch über mein merkwürdiges Verhältnis zur Musik nachgedacht und hatte, einmal wieder, dies ebenso rührende wie fatale Verhältnis zur Musik als das Schicksal der ganzen deutschen Geistigkeit erkannt. Im deutschen Geist herrscht das Mutterrecht, die Naturgebundenheit in Form einer Hegemonie der Musik, wie sie nie ein andres Volk gekannt hat. Wir Geistigen, statt uns mannhaft dagegen zu wehren und dem Geist, dem Logos, dem Wort Gehorsam zu leisten und Gehör zu verschaffen, träumen alle von einer Sprache ohne Worte, welche das Unaussprechliche sagt, das Ungestaltbare darstellt. Statt sein Instrument möglichst treu und redlich zu spielen, hat der geistige Deutsche stets gegen das Wort und gegen die Vernunft frondiert und mit der Musik geliebäugelt. Und in der Musik, in wunderbaren seligen Tongebilden, in wunderbaren holden Gefühlen und Stimmungen, welche nie zur Verwirklichung gedrängt wurden, hat der deutsche Geist sich ausgeschwelgt und die Mehrzahl seiner tatsächlichen Aufgaben versäumt. Wir Geistigen alle waren in der Wirklichkeit nicht zu Hause, waren ihr fremd und feind, darum war auch in unsrer deutschen Wirklichkeit, in unsrer Geschichte, unsrer Politik, unsrer öffentlichen Meinung die Rolle des Geistes eine so klägliche. Nun ja, oft hatte ich diesen Gedanken durchgedacht, nicht ohne zuweilen eine heftige Sehnsucht danach zu fühlen, einmal Wirklichkeit mitzugestalten, einmal ernsthaft und verantwortlich tätig zu sein, statt immer bloß Ästhetik zu treiben und geistiges Kunstgewerbe. Es endete aber immer mit der Resignation, mit der Ergebung ins Verhängnis. Die Herren Generäle und Schwerindustriellen hatten ganz recht: es war nichts los mit uns »Geistigen«, wir waren eine entbehrliche, wirklichkeitsfremde, verantwortungslose Gesellschaft von geistreichen Schwätzern. Pfui Teufel! Rasiermesser!
So von Gedanken und vom Nachklang der Musik erfüllt, das Herz schwer von Trauer und verzweifelter Sehnsucht nach Leben, nach Wirklichkeit, nach Sinn, nach unwiederbringlich Verlorenem, war ich endlich heimgekehrt, hatte meine Treppen erstiegen, hatte im Wohnzimmer Licht gemacht und vergebens ein wenig zu lesen versucht, hatte an die Verabredung gedacht, die mich zwang, morgen abend zu Whisky und Tanz in die Cécil-Bar zu gehen, und hatte nicht nur gegen mich selbst, sondern auch gegen Hermine Groll und Bitterkeit empfunden. Mochte sie es gut und herzlich meinen, mochte sie ein wundervolles Wesen sein – sie hätte mich doch damals lieber zugrunde gehen lassen sollen, statt mich in diese wirre, fremde, flirrende Spielwelt hinein- und hinabzuziehen, wo ich doch immer ein Fremder bleiben würde und wo das Beste in mir verkam und Not litt!
Und so hatte ich traurig mein Licht gelöscht, traurig mein Schlafzimmer aufgesucht, traurig mit dem Entkleiden begonnen, da machte ein ungewohnter Duft mich stutzig, es roch leicht nach Parfüm, und umblickend sah ich in meinem Bett die schöne Maria liegen, lächelnd, etwas bange, mit großen blauen Augen.
»Maria!« sagte ich. Und mein
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