Der Steppenwolf
dunkle schnellwelkende Blumen, flackernde Wollust, innige Träumerei, glühende Schwermut, angstvolles Sterben, strahlende Neugeburt. Ich fand Frauen, die nur eilig und im Sturm zu gewinnen waren, und andre, um welche lang und sorgfältig zu werben ein Glück war; jeder dämmernde Winkel meines Lebens tauchte wieder auf, in welchem einst, sei es nur eine Minute lang, die Stimme des Geschlechts mir gerufen, ein Frauenblick mich entzündet, ein Schimmer weißer Mädchenhaut mich gelockt hatte, und alles Versäumte ward eingeholt. Jede wurde mein, jede auf ihre Art. Die Frau mit den merkwürdigen tiefbraunen Augen unter flachshellem Haar war da, neben der ich einst eine Viertelstunde am Fenster im Gang eines Schnellzugs gestanden, und die später mehrmals in meinen Träumen erschienen war, – sie sprach kein Wort, aber sie lehrte mich ungeahnte, erschreckende, tödliche Liebeskünste. Und die glatte, stille, glasig lächelnde Chinesin vom Hafen in Marseille, mit dem glatten tiefschwarzen Haar und den schwimmenden Augen, auch sie wußte Unerhörtes. Jede hatte ihr Geheimnis, duftete nach ihrem Erdreich, küßte, lachteauf ihre Weise, war auf ihre besondere Art schamhaft, auf ihre besondere Art schamlos. Sie kamen und gingen, der Strom führte sie mir zu, spülte mich zu ihnen hin, von ihnen weg, es war ein spielendes, kindliches Schwimmen im Strom des Geschlechts, voll Reiz, voll Gefahr, voll Überraschung. Und ich staunte darüber, wie reich mein Leben, mein scheinbar so armes und liebloses Steppenwolfleben, an Verliebtheiten, an Gelegenheiten, an Lockungen gewesen war. Ich hatte sie fast alle versäumt und geflohen, war über sie hinweggestolpert, hatte sie schleunigst vergessen – aber hier waren sie alle aufbewahrt, lückenlos, Hunderte. Und jetzt sah ich sie, gab mich ihnen hin, stand ihnen offen, sank in ihre rosig dämmernde Unterwelt hinab. Auch jene Verführung kehrte wieder, die mir Pablo einst angeboten hatte, und andre, frühere, die ich zu ihrer Zeit nicht einmal ganz begriffen hatte, phantastische Spiele zu dreien und vieren, lächelnd nahmen sie mich in ihren Reigen mit. Viele Dinge geschahen, viele Spiele wurden gespielt, nicht mit Worten zu sagen.
Aus dem unendlichen Strom der Lockungen, der Laster, der Verstrickungen tauchte ich wieder empor, still, schweigend, gerüstet, mit Wissen gesättigt, weise, tief erfahren, reif für Hermine. Als letzte Figur in meiner tausendgestaltigen Mythologie, als letzter Name in der unendlichen Reihe tauchte sie auf, Hermine, und zugleich kehrte mir das Bewußtsein wieder und machte dem Liebesmärchen ein Ende, denn ihr wollte ich nicht hier in der Dämmerung eines Zauberspiegels begegnen, ihr gehörte nicht nur jene eine Figur meines Schachspiels, ihr gehörte der ganze Harry. Oh, ich würde nun mein Figurenspiel so umbauen, daß alles sich auf sie bezog und zur Erfüllung führte.
Der Strom hatte mich an Land gespült, wieder stand ich am schweigenden Logengang des Theaters. Was nun? Ich griff nach den Figürchen in meiner Tasche, aber schon war dieser Antrieb wieder verblaßt. Unerschöpflich umgab mich diese Welt der Türen, der Inschriften, der magischen Spiegel. Willenlos las ich die nächste Aufschrift und schauderte:
Wie man durch Liebe tötet
stand da geschrieben. Schnell aufzuckend leuchtete ein Erinnerungsbild in mir, eine Sekunde lang: Hermine, am Tisch einesRestaurants, plötzlich von Wein und Speisen weg in ein abgründiges Gespräch verloren, furchtbaren Ernst im Blick, wie sie mir sagte, daß sie mich nur darum in sich verliebt machen werde, um von meiner Hand getötet zu werden. Eine schwere Woge von Angst und Dunkelheit flutete über mein Herz, plötzlich stand wieder alles vor mir, plötzlich spürte ich im Innersten wieder Not und Schicksal. Verzweifelnd griff ich in meine Tasche, um die Figuren hervorzulangen, um ein wenig Magie zu treiben und die Ordnung meines Schachbretts umzustellen. Es waren keine Figuren mehr da. Statt der Figuren zog ich ein Messer aus der Tasche. Zu Tode erschrocken lief ich durch den Korridor, an den Türen vorbei, stand plötzlich dem riesigen Spiegel gegenüber, blickte hinein. Im Spiegel stand, hoch wie ich, ein riesiger schöner Wolf, stand still, blitzte scheu aus unruhigen Augen. Flackernd blinzelte er mich an, lachte ein wenig, daß die Lefzen sich einen Augenblick trennten und die rote Zunge zu sehen war. Wo war Pablo? Wo war Hermine? Wo war der kluge Kerl, der so hübsch vom Aufbau der Persönlichkeit
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