Der sterbende Detektiv - Roman
erst seine Tochter und sein Schwiegersohn, dann sein Sohn und seine Schwiegertochter. Die Enkel mussten zu Hause bleiben, darum hatte er nicht einmal bitten müssen. Statt dessen schickten sie ihm kleine Briefe und Geschenke mit.
Die Älteste, die siebzehn war und im Frühjahr Abitur machen würde, hatte ihm einen langen Brief geschrieben, in dem sie den »besten Großvater der Welt« aufforderte, sich nicht mehr so zu stressen, alles mit der Ruhe zu nehmen und sich zu entspannen, »mehr zu chillen«. Um ihre Worte zu unterstreichen hatte sie ihm ein Buch über Meditation gekauft und eine widerrechtlich gebrannte CD mit ruhigen Schlagern geschenkt.
Ihre kleine Schwester hatte ein Bild gemalt: Johansson im Bett mit einem großen Verband um den Kopf und umgeben von weißen Kitteln. Er sah fröhlich aus, er winkte auch. Sie wünschte: »Gute Besserung, Großvater.«
Ihr zwei Jahre jüngerer Cousin hatte ihm mit seiner dünnen
Knabenstimme am Handy etwas vorgesungen und ihm seine halbe samstägliche Süßigkeitenration überlassen. Mäusespeck und Fruchtgummi, klebrig von Kinderfingern und scheinbar nach gewissem Zögern. Seine zwei Jahre jüngeren Brüder, Zwillinge, hatten ausnahmsweise einmal auf demselben Block gemalt, Kopffüßer und etwas, das wahrscheinlich eine Sonne vorstellen sollte.
Geliebter Ehemann, Vater und Großvater – aber am liebsten hätte er seine Ruhe gehabt, um sich keine Blöße zu geben und ihre Besorgnis nicht ansehen zu müssen.
Sonstige Besuche von Freunden und Verwandten hatte Pia abzuwehren gewusst. Jarnebring rief fast ständig an, sein ältester Bruder jeden Morgen und Abend und wollte außerdem noch mit ihm übers Geschäft reden, alle anderen Verwandten, Freunde, Bekannten und alte Kollegen verlangten auf dem Laufenden gehalten zu werden.
»Das kann nicht leicht sein, Kleines«, sagte Johansson und tätschelte seiner Frau die Hand. »Aber bald ist es vorbei. Ich habe vor, mich am Montag, direkt nach dem Wochenende, entlassen zu lassen.«
»Darüber sprechen wir später«, antwortete Pia und lächelte schwach.
Da er diese Bemerkung bereits kannte, wusste er, dass zumindest aus diesem Montag noch nichts werden würde.
Obwohl es ihm immer besser ging. Die Anzahl der Schläuche, Kabel, Fäden und Kanülen hatte sich halbiert. Die Kopfschmerzen suchten ihn auch immer seltener heim. Er erhielt fast seine gesamte Medizin in Form verschiedenfarbiger Tabletten, die in Plastikbecherchen lagen. Schlucken und sie mit Wasser hinunterspülen tat er selbst. Am Montag erhielt er von der Stationsschwester einen eigenen Tablettenkasten. Es war wichtig, dass er sich selbst um seine Medizin kümmerte, und je früher er damit anfing, desto besser.
Johansson zeigte ihn noch am selben Abend seiner Frau. Ein kleiner roter Plastikkasten mit einem weißen, durchsichtigen Schiebedeckel. Insgesamt achtundzwanzig kleine Fächer für morgens, mittags, abends und nachts sämtlicher Wochentage. Randgefüllte kleine Fächer, insgesamt etwa zehn Tabletten pro Tag.
»Gerne ein Orden und eine schöne Rente, aber erst einmal ein ordentlicher Tablettenkasten«, meinte Johansson mit dem schrägen Lächeln, das mittlerweile ganz natürlich schien.
»Ja«, erwiderte Pia. »Das hast du also auch geschafft.« Dann lächelte sie mit den Augen und mit dem Mund, und sie wirkte ebenso fröhlich wie beim ersten Mal, als sie ihn angelächelt hatte. Danke, dass ich dich zurückbekommen habe, dachte sie.
8
Mittwochvormittag des 14. Juli 2010
Am Mittwochvormittag traf er Ulrika Stenholm, die dieses Mal einen vollgekritzelten Notizblock dabeihatte.
»Haben Sie das Urteil dabei?«, fragte Johansson und deutete mit dem Kopf auf den Block.
»Haben Sie das Gefühl, dazu in der Verfassung zu sein?«
»Ich höre«, sagte er, und dabei geschah es von Neuem. Ein plötzliches, starkes und vollkommen unerklärliches Gefühl bemächtigte sich seiner. Dieses Mal ein Gefühl der Ausgelassenheit.
Frau Dr. Stenholm ging sowohl systematisch als auch pädagogisch vor. Das Blutgerinnsel sei in der linken Hirnhälfte aufgetreten, was eine »partielle, rechtsseitige Lähmung« verursacht habe, die unter anderem die Gelenkigkeit seines rechten Armes, aber auch Gefühl, Beweglichkeit und Stärke seines rechten Beines herabgesetzt habe. Seine Atmung habe ein, zwei Minuten ausgesetzt, keine bleibenden Schäden seien jedoch zu entdecken gewesen.
»Kurzzeitiger Atemstillstand ist nichts Ungewöhnliches und kann eine Menge Gründe haben«,
Weitere Kostenlose Bücher