Der Strandlaeufer
immer noch ein schöner Mann. Doch die Kräfte lassen nach. Und darum wollen wir den Garten verändern. Wir wollen ihn verändern. Das ist etwas anderes als Umgestalten, mein Sohn. Verändern heißt nicht, etwas Neues machen an Stelle des Alten, es heißt, das Alte verringern, es kleiner machen, als es einmal war. Wir wollen den Garten verändern. Er schafft es einfach nicht mehr wie früher, dein armer Vater, du weißt nicht, wie glücklich wir sind, wir sind ein Herz und eine Seele, wir sind eine Einheit, eine Symbiose, eine Einheit sind wir, mein lieber Sohn, dein Vater und ich. Und wir lieben uns. Du wirst es nicht verstehen, wie sehr wir uns lieben.«
Die Mutter hält inne. Der Sohn versteht es gar nicht, wie sehr sie plötzlich für einen Augenblick schweigen kann. In diesem Moment hört man ein lang anhaltendes Donnergrollen. Er blickt zum Himmel, zu den Wolkentürmen.
»Ich glaube, ein Gewitter zieht auf.«
»Ein Gewitter, sagst du?« Die Mutter blickt ihn vorwurfsvoll an. »Nein, es ist kein Gewitter. Das ist ein Flugzeug. Es sind Manöver, die Herbstmanöver. Ich höre immer noch sehr gut, aber dein Vater hört fast nichts mehr. Es ist ein Problem mit solch einem Mann, der fast nichts mehr hört. Er kann es mit seiner Potenz nicht vereinbaren, darum erwähne nie etwas darüber ihm gegenüber, er wird es nicht hören wollen, wenn man es ihm sagt, lieber stellt er sich taub, wenn man sein schlechtes Gehör erwähnt, er ist ein Dickkopf, er will es nicht zugeben, dass er fast nichts mehr hört.«
»Aber Mutter«, sagt der Sohn mit leiser, fast bettelnder Stimme. »Ich glaube wirklich, dass es ein Gewitter ist. Sieh nur, die hohen, aufgetürmten Wolken. Typische Gewitterwolken. «
»Unterbrich mich nicht immer«, sagt die Mutter. Sie wirkt jetzt nackt und sieht aus wie ein uralter, eingeschrumpfter Buddha. »Ich liebe diese Stille, diese reine Luft, diese klare Atmosphäre, wenn nur nicht die viele Arbeit wäre, die unser Garten macht, dein armer Vater schafft es kaum noch. Deshalb werden wir die Pflanzordnung vereinfachen, wir werden sie rigoros vereinfachen, da neben dir, gleich neben deinem Kopf, da kommen Teehybriden hin, weißt du, was das ist? Sicher weißt du nicht, was Teehybriden sind, du meinst ja immer, du weißt alles, aber was Teehybriden sind, wirst du nicht wissen, das sind Rosen, die duften! Sie duften so stark, wie keine anderen Blumen duften. Transpirierst du eigentlich immer noch so, wenn du dich aufgeregt hast? Frau Bohn schwitzt so stark, dass sie bei meinem Geburtstag nicht bedienen konnte. Dabei hatten wir vierzehn Gäste, und wir haben alles selber machen müssen, weil Frau Bohn so einen starken Körpergeruch hat. Sie transpiriert! Wir brauchten sie gar nicht nach Hause zu schicken, sie ist von selbst gegangen, so hat sie sich aufgeregt. Ihr Kopf war ganz rot vor
Aufregung, und sie stank. Man roch es schon im Flur, als sie kam, so hat sie sich aufgeregt, und dort, genau links neben dir, weiter links um die Ecke, da kommt ein Stachelbeerstrauch hin, gleich neben den Teehybriden, du weißt, was Teehybriden sind? Ich glaube, ich sagte es dir schon. Man muss ja alles zweimal sagen! Es sind wunderbare Rosen, die herrlich duften.«
Der Sohn beugt sich vor und blickt in die Tasse der Mutter. Mitten in ein erneutes dumpfes Donnergrollen hinein sagt er: »Möchtest du noch etwas Tee?« Die Mutter blickt zum Himmel und schüttelt den Kopf. »Diese armen Piloten! Aber du siehst doch, dass meine Tasse noch nicht ganz leer ist. Iss lieber noch ein Erdbeertörtchen. Du könntest ruhig ein wenig dicker sein für dein Alter. Sorgt deine Frau nicht gut genug für dich, mein Lieber? Würdest du jetzt deiner Mutter einschenken. Du siehst doch, dass die Tasse fast leer ist!«
Der Sohn steht auf und geht um den Tisch herum. Dann nimmt er die Haube von der Teekanne, beugt sich zu seiner Mutter herab und schenkt nach. Dabei riecht er den strengen Uringeruch, der von ihr aufsteigt. Die Mutter zieht laut hörbar den Atem durch die Nase ein.
»Ja, jetzt rieche ich es wieder. Du musst dich aufgeregt haben, mein Sohn. Das kommt daher, dass du so sensibel bist, das warst du schon immer, das hast du von mir geerbt. Wir sind alle so sensibel, du und ich, auch dein Vater, nur zeigt er es nicht. Er zeigt überhaupt nie etwas. Dadurch ist es manchmal ganz schön schwer mit ihm, vor allem für einen Menschen, der so offen ist wie ich, ist es ganz schön schwer, mit jemandem zusammenleben zu müssen, der so
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