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Die Nacht in Issy

Die Nacht in Issy

Titel: Die Nacht in Issy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Borell
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1

    Ich lag auf dem Bett und beobachtete sie aus halb geschlossenen Augen. Dedé war kurzsichtig und glaubte, ich schliefe. Sie bemühte sich, keinen Lärm zu machen, während sie an dem kleinen Kochofen hantierte, der in der Zimmerecke stand. Es war ein schwüler Spätnachmittag im August. Die Sonne lag noch auf dem Kamin; der Herd zog nicht. Dedé kniete davor und blies hinein, aber der Qualm zog nicht ab. Er kam oben aus dem Ofenrohr heraus.
    Dedé fluchte leise vor sich hin. Sie hatte Gustave schon oft gebeten, das Ofenrohr nachzusehen, aber Gustave tat nichts für sie.
    Ich weiß nicht, ob Dedé früher einmal nett ausgesehen hat. Jetzt war sie vierzig, unnatürlich fett, und ihr Gesicht zeigte deutlich die Spuren eines wüsten Lebens.
    Schwer schnaufend richtete sie sich auf. Sie kam an meinem Bett vorbei und stellte sich ans Fenster, das eigentlich nur eine Dachluke war. Ihr hellblondes, immer unordentliches Haar leuchtete in der Sonne auf. Sie holte einen Putzlappen, den sie zum Trocknen aufgehängt hatte, herein, ging zum Ofen zurück, warf den Lappen in einen Eimer voll Wasser und begann, den Boden vor dem Ofen aufzuwischen.
    Ich richtete mich auf. Dedé kniete auf dem Boden und blinzelte mich aus ihren wasserblauen Augen an.
    »Ausgeschlafen?«
    »Ja. Es ist furchtbar drückend heute.«
    Sie putzte weiter. Von morgens bis abends putzte sie und machte damit mir und Gustave das Leben zur Hölle.
    »Es ist ein Elend mit diesem Dreckofen«, sagte sie, »vielleicht kannst du ihn einmal nachsehen. Gustave denkt ja nicht daran, etwas für mich zu tun.«
    »Er ist müde, wenn er abends heimkommt«, erwiderte ich.
    Sie brummte vor sich hin, und nach einer Weile meinte sie: »Er hat auch früher nicht viel für mich getan. Weiß Gott, wo er sein Geld immer durchgebracht hat, ich hab’ nie was davon gesehen.«
    »Hatte er denn viel?«
    Sie richtete sich mühsam auf. Sie trug eine hellblaue, vorn offene Bluse, eine wollene Hose bis an die Knie und darüber eine graue Schürze. Ich hatte sie in den vier Wochen, seit ich hier lebte, noch nie anders gesehen. Nur wenn sie einkaufen ging, knöpfte sie die Bluse zu, zog sich Trainingshosen an und setzte einen alten Filzhut mit breiter Krempe auf.
    »Viel?« sagte sie und kam an das Bett. »Viel? Natürlich hat er viel gehabt. Glaubst du, sie hätten ihm wegen einer Kleinigkeit zwei Jahre Zuchthaus aufgebrummt? Er hat ja mit den höchsten Stellen zusammengearbeitet, und sicherlich hat er dabei gut verdient. — Bis dieses Schwein ihn verpfiffen hat.«
    »Wer war das, Dedé?«
    Sie sah mich sekundenlang böse an, dann watschelte sie zum Herd und legte ein paar Stückchen Holz nach.
    »Woher soll ich das wissen?« sagte sie, ohne mich anzusehen. »Mit mir hat er noch nie über solche Dinge gesprochen. Wenn er es dir schon nicht gesagt hat — «
    Natürlich, sie hatte recht. Gustave hatte auch mit mir kaum darüber gesprochen, obwohl wir uns im Zuchthaus kennengelernt hatten. Seine Zelle war einen Stock unter meiner gewesen, aber im Arbeitssaal hatten wir uns jeden Tag getroffen.
    »Er haßt ihn, nicht wahr?« fragte ich.
    »Natürlich haßt er ihn. Er würde ihn umbringen, wenn er ihn erwischte. Aber trotzdem bin ich froh, daß er jetzt in den Hallen arbeitet und seine Finger endlich von heißen Sachen läßt.«
    Sie hatte das sehr betont gesagt, und der Blick, den sie mir dabei zuwarf, war deutlich genug.
    »Ich habe nicht vor«, sagte ich, »ihn wieder in etwas Heißes hineinzuziehen.«
    »Ach!« machte sie, und es war ihr deutlich anzusehen, daß sie mir nicht traute.
    »Bestimmt nicht, Dedé. Hat Gustave nie mit dir über mich gesprochen?«
    »Nicht viel. Er kam eines Tages und sagte, er werde einen Bekannten mitbringen, der einige Tage hier wohnen solle. Und nun bist du schon vier Wochen hier. Gustave sagte, du seiest ein anständiger Kerl. Du hast dich auch nicht schlecht benommen, aber — «
    »Aber?«
    »Ich wäre froh, wenn — ich mit Gustave allein sein könnte. Was hast du in den vier Wochen getan? Seit vier Wochen bist du hier in Paris und tust nichts, außer Spazierengehen. Du kannst mir doch nicht erzählen, daß du nicht irgendein Ding ausknobelst! Mir nicht. — Und ich will nicht, daß Gustave noch mal mitmacht.«
    »Er wird nicht mitmachen«, sagte ich und stand auf, »darauf geb’ ich dir mein Wort. Ich hab’ was vor, — ja, aber das mache ich allein.«
    Sie musterte mich voller Mißtrauen, und ihre verschwommenen Augen bekamen plötzlich einen

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