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Der Sturm

Der Sturm

Titel: Der Sturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krystyna Kuhn
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ihrer Liste enttäuschter Hoffnungen ausschließlich Männer.
    Es lag in den Genen – die Frauen ihrer Familie wurden nun einmal von Männern enttäuscht, angefangen bei Grandma Martha bis hin zu ihrer Mum.
    Aber Debbie war nicht bereit, sich damit abzufinden. Wenn man nicht an Gott glaubte, also an eine höhere Macht, die für Gerechtigkeit sorgte, dann fiel das Recht auf Rache sozusagen an den Menschen zurück. Der Einzige, der also irgendwie dafür sorgen konnte, dass der Begriff Gerechtigkeit nicht nur eine leere Worthülse war, war sie selbst.
    Sie, Debbie, nur sie allein, war die Herrin über ihr eigenes Schicksal, und wenn sie nun darüber nachdachte, dann war das ja nicht einmal eine schlechte Option, oder?
    Außerdem – war es nicht auch Marcel Proust, der gesagt hatte: Der Geist kennt keine ausweglosen Lebenssituationen?
    Also verflucht Debbie, warum sitzt du dann hier im Schnee, mitten im Wald und siehst einfach zu, wie jemand anders sich anmaßt, über dein Leben zu entscheiden?
    Sie dachte daran zurück, was sie in der Eingangshalle gesehen hatte, heute Morgen, als die anderen sie allein gelassen hatten: Professor Forster.
    Forster, wie er den leblosen Körper von Ted hinter sich hergezogen hatte. Ja, heute Morgen hatte sie nicht begriffen, was da vor sich ging. Hatte nur gewusst, dass sie den Mund halten musste, dass sie in Gefahr wäre, wenn sie sprechen würde.
    Aber jetzt verstand sie. Sie wusste, was in Forster vor sich ging. Sie ahnte, was er dachte. Auch er gehörte zum Clan der Enttäuschten, der Betrogenen, zum Club der toten Hoffnungen. Aber sorry, so war nun einmal das Leben.
    Für einen Moment fühlte Debbie sich wie berauscht von ihren eigenen Überlegungen. Professor Brandon würde ihr mit Sicherheit eine A-Note auf diesen Gedankenprozess geben. Mit dem Hinweis summa cum laude. Sozusagen außerordentliche Leistung.
    Und wenn ihr Stiefvater ihr auch nicht viel in ihrem Leben gegeben hatte – hey, ein iPhone, was war das schon bei der Kohle, die er als Chefarzt verdiente –, eines hatte sie von ihm gelernt: Intelligenz verpflichtet. Man musste sie auch anwenden können, sie – wie er immer dozierte – für die Gesellschaft einsetzen.
    Debbie war nicht blöd. Nein, sie wusste, dass niemand von den anderen sie ernst nahm. Sie las schließlich täglich die Nachrichten, die die anderen über das Intranet des Grace College über sie verbreiteten. Aber Tatsache war auch, dass sie die meisten Nachrichten erhielt. Sie war im Gespräch!
    Und sie, Debbie, war verflucht noch mal nicht gewillt, sich hier wie ein Schaf zur Schlachtbank führen zu lassen.
    Forster hatte ihr, Debbie, diesen dreckigen Spaten in die Hand gedrückt und gesagt, sie solle anfangen zu graben. Und sie hatte sich einfach in den Schnee fallen lassen wie ein... Benjamin würde sagen . . . wie ein nasser Sack. Aber wenn sie nichts tat, dann war sie in der Lage, geistige Höchstleistungen zu vollbringen, das war Debbies Geheimnis.
    Wie Mr Green immer sagte: Sie passte in kein Krankheitsschema. Und ihr Verstand war schärfer, als die anderen vermuteten.
    Debbie warf Forster einen Blick zu, doch er achtete nicht auf sie. Er war voll auf Julia konzentriert. Laberte sie voll. So war das immer. Auf Debbie achtete niemand. Aber ein jeder unterschätzte sie auch.
    Langsam erhob sie sich.
    Der Schnee war wie Watte. Er erstickte jeden Laut. Debbie griff nach dem Spaten, der neben ihr lag. Langsam ging sie auf Forster zu. Sie war nur wenige Schritte hinter ihm, als er sagte: »Ironie des Schicksals, Julia Frost.« Er betonte die letzten zwei Worte, als ob er allen Grund hätte, an Julias Identität zu zweifeln. Dann hob er die Waffe. Und Debbies Spaten traf seinen Hinterkopf kurz nach der Vollendung des Satzes: »Ja, wirklich, es ist eine Ironie des Schicksals, dass du den Jungen vögelst, dessen Vater Schuld trägt an deinem Tod.«
    Der dumpfe Schlag, der durch die Dunkelheit hallte, wurde übertönt von einem anderen Geräusch.
    Einem lauten Schrei, der nicht von Forster kam, sondern von einer Gestalt, die hinter Debbie aus dem Wald brach.

31. Kapitel
    C hris sah, wie Forster zu Boden ging. Ein Schatten in der Dunkelheit. Die Taschenlampe flog durch die Luft, versank einen Meter entfernt im Schnee, wo sie Millionen von Eiskristalle zum Leuchten brachte.
    Forster versuchte aufzustehen, schwankte und wieder kam Debbie ihm zuvor und holte zum nächsten Schlag aus. Diesmal traf die scharfe Kante des Spatens Forsters Stirn und Chris

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