Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Tod bin ich

Der Tod bin ich

Titel: Der Tod bin ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Bronski
Vom Netzwerk:
her und hielt ein Bündel Sutras geschultert. Begleitet wurde er von einem Tiger. Die fehlenden Teile waren durch neutrale Naturseide ergänzt worden. Die harten Schattenlinien des Fensterkreuzes zerschlitzten das Bild in vier Teile.
    Ich war fasziniert und spürte eine gesteigerte Aufnahmefähigkeit für das, was da vor sich ging. Alles verlangsamte sich. Die Minuten sprudelten nicht mehr, vielmehr verdickte sich die Zeit und floss so gemächlich wie Honig an einem Löffel herunter. Diese Vorstellungmachte mir unheimlich Lust auf etwas Süßes, ich durchsuchte die Schubladen der Kassentheke, fand aber nur scharfe Pfefferminzbonbons.
    Nun kroch der Lichtausschnitt zu dem chinesischen Steinguttopf mit Drachenhenkeln. Dort zerstreuten sich die Sonnenstrahlen und die scharfen Konturen verschwammen im Bläulichen. Die grünen Mosaiksteine der Maske des Quetzalcoatl begannen zu schimmern, die holzgeschnitzten weißen Zähne traten hell hervor und die aufgesteckten Federn bekamen irisierenden Glanz. Der bronzene Buddha erstrahlte, im matten Weiß der reich verzierten Muscheltrompete spiegelte sich warmes Licht und der Jadephönix aus China nahm die Gestalt eines gekrönten Hahns an. Schließlich erahnte man noch die Abbildung der schwarzen Todesgöttin Kali auf einem Buchdeckel, dessen Silberbeschläge das letzte Licht einfingen, und in den erdigen Farbtönen des Mumiendeckels, der den Sarg eines unbekannten Schreibers verschlossen gehalten hatte, reflektierte sich noch ein schwaches Glühen. Daraufhin kippte alles in dämmriges Grau. Die polynesische Holzbüste eines fremden Gottes starrte mich mit ihren weit aufgerissenen, weiß umrandeten Augen an, das geöffnete, nach unten gezogene Maul begann zu klaffen. Die sich auflösenden Konturen verzerrten die große schildförmige afrikanische Tanzmaske, blutrot, schwarz und weiß bemalt, zu einer bösen Fratze.
    Mir war, als hätte ich bei allen unseren Ausstellungsstücken die Parade abgenommen, um sie in die Nacht zu verabschieden. Ich schaute auf die Uhr. Viertel nach neun. Erst jetzt schaltete ich das Lämpchen in der Nische an. Mehr als eine Stunde hatte ich mich von einem Schauspiel in Bann ziehen lassen, das dort drüben offenbar täglich ablief. Ich kannte den Raum bei Tag, war an die Anwesenheit von Besuchern gewöhnt und immer nur auf meine Aufgaben und die technischen Abläufe konzentriert. Hatte sich jemand ohne Eintrittskarte eingeschlichen, musste das Vitrinenglas gesäubert werden, tratjemand unseren wertvollen Stücken zu nahe? Abends wurden die Lichter gelöscht und die Tür geschlossen. Aber nun war in die toten, von mir so abgerückten Gegenstände ein Eigenleben gefahren, das ich noch nie zuvor wahrgenommen hatte. Fast jedes Stück war ein Kultgegenstand, hatte Segen oder Fluch gebracht und begann seine Aura abzustrahlen, als die museale Beschränkung aufgehoben war.
    Ich hatte gar nicht bedacht, dass ich in dieser sonst so vertrauten Umgebung in so merkwürdige Zustände geraten könnte. Um mich wieder auf Alltagstüchtigkeit herunterzubringen, goss ich mir einen Kaffee ein und las in meinem Buch. Aus Eulmanns Büro hatte ich unverfängliche Fachlektüre mitgebracht. Die Geschichte der archäologischen Grabungen im Tal der Pharaonen. Gelangweilt von der Darstellung wissenschaftlicher Methoden in der Archäologie, aber fasziniert von Fotos und Schemazeichnungen der Pyramiden und Gräber, blätterte ich in dem voluminösen Band.
    Irritiert unterbrach ich und stand auf, als ich Pochgeräusche aus dem Saal hörte. Ich versuchte mich nach Gehör zu orientieren, bis ich an eine der großen Wasserleitungen geriet, von der das Geräusch herzurühren schien. Beruhigt ging ich in meine Nische zurück und las weiter.
    Trotz der wohlmeinenden Texte fiel es mir schwer, in den Heroen der archäologischen Grabungen, denen wir die großen Funde verdanken, mehr zu sehen als Abenteurer, die, wenn nicht durch die Gier nach Reichtum, so doch durch die nach Anerkennung getrieben, jahrtausendealte Monumente entweihten und Grabstätten aufbrachen, um möglichst viel davon als Beute in ihre Heimat schaffen zu können. Für mich waren sie Plünderer, die im Namen der Wissenschaft in verbotene Bezirke eingedrungen waren.
    Doch immer wieder lauschte ich auf das Pochen, das nun an- und abzuschwellen schien, und versuchte drüben in dem dunklen Raum etwas auszumachen. Ich dachte daran, einen großen Rundgang zuunternehmen, wie Eulmann das vorgeschlagen hatte. Schon einige Meter

Weitere Kostenlose Bücher