Der Totenschmuck
führen wollte. Sie war noch ein Mädchen gewesen, mit einem Hang zur Tagträumerei. Und sie hatte gern gezeichnet. So hatte sie bemerkt, dass er sich für sie interessiert hatte. Sie waren sich in Newport im Ocean House begegnet, wo ihr Vater sich gern wegen der Seeluft aufhielt. Eines Abends hatte sie im Musiksaal des Hotels gezeichnet, und er war hereingeschlendert. Ihr Vater kannte ihn geschäftlich, am Vorabend hatten sich die beiden miteinander unterhalten. Als er mit einer Zeitung unter dem Arm und unzufriedener Miene den Raum betreten hatte, war ihr die Idee gekommen, ihn in seinem Unbehagen zu zeichnen, und sie hatte ihn um Erlaubnis gebeten. Er hatte überrascht gelächelt und war einverstanden gewesen. Erst später hatte sie die Zeichnung betrachtet und in seinem Gesicht etwas entdeckt, das ihr den Magen zusammenzog.
An jenem Abend hatte sie mit ihm Karten gespielt und kokett konversiert. Es war ihr vorgekommen, als würde sie ein Drehbuch durchspielen, und als sie später ihr eigenes Auftreten geprüft hatte, hatte sie sich geschämt. Am folgenden Tag hatte sie zugestimmt, mit ihm an den Klippen entlang spazieren zu gehen.
Als sie wieder nach Boston zurückgekehrt waren, hatte ihr Vater sie gebeten, in die Bibliothek zu kommen, wo er ihr von dem Heiratsantrag erzählt hatte. »Er ist sich des problematischen Altersunterschieds bewusst«, hatte er leicht stockend erklärt. »Es liegt an dir. Ich gebe zu, ich habe immer gehofft, dass du aus Liebe heiratest, jemanden, der sich mit deinen geistigen Fähigkeiten messen kann. Ich wünschte, deine Mutter wäre noch am Leben, um mit dir über die Pflichten einer Ehe, über die Schwierigkeiten, mit einem anderen Menschen zusammenzuleben, zu sprechen. Aber er ist ein rechtschaffener Mann, und ich muss dir nicht sagen, dass uns die Situation auf dem Markt hart zugesetzt hat. Es wird nur noch wenige Monate dauern, bis wir dieses Haus verkaufen müssen. Es liegt an dir zu entscheiden, wie du leben möchtest.«
Sie hatte entgegnet, sie würde darüber nachdenken, aber schon beim Verlassen des Raumes hatte sie gewusst, wie ihre Antwort lauten würde.
Es war ihre eigene Schuld. Gott würde sie strafen. Das wusste sie nun. Gott würde sie für ihre Gedanken strafen und … für ihr Handeln. Sie war ihm keine gute, christliche Ehefrau gewesen.
Sie setzte sich ins Gras und spürte, wie die Feuchtigkeit durch ihr Wollkleid drang. Die Kälte irritierte ihre Haut. Aber das Kleid war dunkel, und man würde den Fleck nicht sehen. Sie schmunzelte schwach. Nein, sie war ihm nicht im Entferntesten eine gute, christliche Ehefrau gewesen. Dennoch … wenn sie ehrlich zu sich selbst war, hatte sie sich noch nie so frei gefühlt.
Eins
Das Erste, was Becca Dearborne bemerkte, war Brads Engelhai.
Er war auf die Seite gekippt, seine Augen starrten in das sprudelnde Wasser, seine schnurrhaarähnlichen Tasthaare hingen kraftlos herab. Die anderen Fische - einige weitere Engelhaie, ein Schwarm kleiner, glänzender Salmler und ein mürrischer Katfisch - schwammen nervös umher, als wüssten sie, dass irgendetwas nicht stimmte. Sie befreite einen kleinen grünen Käscher aus dem unordentlichen Fundus neben dem Aquarium - Dosen mit Chemikalien und Fischfutter, Thermometer, ein Paar Gummihandschuhe -, schöpfte den toten Fisch ab und trug ihn ins Badezimmer, wo sie ihn in die Toilette spülte und das Netz auswusch.
»Er muss letzte Nacht gestorben sein«, sagte sie leise zu Jaybee. »Andernfalls hätte er ihn nicht dort gelassen.« Sie legte einen Finger an das Glas und spürte etwas in ihrer Magengegend, einen stechenden Schmerz, vielleicht aus Trauer über den Fisch.
»Ja, vielleicht hätte er ihn ins Krankenhaus gebracht.« Jaybee, der mit Brad seit der Mittelstufe befreundet und seit dem ersten Jahr auf dem College mit ihm zusammenwohnte, machte sich gern über Brads Besessenheit von dem Aquarium lustig. Er gab ein Vermögen für spezielle Pflanzen und verschiedenste Mixturen aus, die schlechte Bakterien töten und gute Bakterien hinzufügen oder den pH-Wert des Wassers
verändern sollten. Und er verbrachte Stunden damit, die Wasserqualität zu testen, machte sich Notizen, wie unterschiedliche Veränderungen die Gesundheit der Fische beeinflussten. Becca, die Brad noch länger kannte als Jaybee, glaubte zu verstehen. Sie konnte endlose Minuten in die Tiefen des Aquariums blicken, fasziniert von den Bewegungen der Fische, einen Moment träge, im nächsten flink.
»Ich gehe
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