Der Traum der Hebamme / Roman
Koppel, so schnell sie konnten. Der Boden war voller Hagelkörner; es war, als liefen sie über glattes Eis.
»Die Verwundeten!«, rief Thomas. »Wir können sie nicht hier lassen!«
»Wer nicht aus eigener Kraft in den Sattel kommt, bleibt hier!«, befahl Markgraf Konrad. Er musste schreien, um in dem Höllenlärm überhaupt verstanden zu werden.
Thomas hielt Ausschau nach Notker, der seine Kranken bestimmt nicht im Stich lassen würde. Zu seiner Erleichterung sah er, dass sich ein paar Thüringer ihrer annahmen.
Hektisch versuchte er nun, unter den scheuenden und wiehernden Pferden seinen Grauschimmel auszumachen. Als er ihn entdeckte, sah er auch Wito, der Dietrichs Rappen satteln wollte. Ein Hengst mit einer schmalen Blesse stieg neben ihm, Wito wurde von dem Rappen abgedrängt, rutschte aus und geriet unter die Hufe. Thomas hörte ihn vor Schmerz aufschreien, griff nach den Zügeln des Rappen und zerrte ihn beiseite. Rasch zog er Wito hoch und hievte ihn sich über die Schulter.
»Mein Arm! Gebrochen!«, keuchte Wito mit schmerzverzerrter Miene.
Thomas fing ein herrenloses Pferd ein, das bereits gesattelt und gezäumt war. »Steig auf!«, rief er ihm zu und half ihm dabei mit verschränkten Händen. Unbeholfen und wankend vor Schmerz zog sich der Sergent in den Sattel. Thomas drückte ihm die Zügel in die Linke.
»Bleib an meiner Seite! Wenn du nicht mehr kannst, übernehme ich.«
Dann vergewisserte sich Thomas, dass Graf Dietrich wohlbehalten auf seinem Rappen saß, stieg selbst auf Drago, und sie ritten durch die Nacht, den strömenden Regen und das namenlose Grauen, das diese heillose Flucht verursachte.
Erst in Tyros kam das fliehende Heer zum Stehen, und hier klärte sich nach und nach, was vorgefallen war.
Aufschluss brachte die eingehende Befragung des Anführers der Proviantkolonne. Die hatte schlechte Nachrichten aus deutschen Landen mitgebracht: Dort gehe es drüber und drunter, ein Krieg drohe. Denn nun sei das Land wieder in ein welfisches und ein staufisches Lager geteilt. Der Welfe Otto, ein Sohn Heinrichs des Löwen und der Lieblingsneffe von Richard Löwenherz, habe Ansprüche auf den Thron angemeldet. Die staufische Seite wage nun selbst nicht mehr, an dem dreijährigen Friedrich festzuhalten, und dränge Philipp von Schwaben, den Bruder des toten Kaisers, der eigentlich die Vormundschaft über den jungen Friedrich übernehmen und den Thron für ihn frei halten wollte, sich zum König wählen zu lassen. So sei Philipp schließlich umgekehrt und nach Deutschland zurückgereist, statt seinen Neffen aus Italien zu holen. Und auf Sizilien habe Kaiserin Konstanze Mühe, einen neuerlichen Aufstand zu unterbinden, und deshalb alle Deutschen ausgewiesen, allen voran Markward von Annweiler und Konrad von Urslingen, die mit ihrem blutigen Vorgehen im Vorjahr den Zorn der Sizilianer auf sich geladen hatten.
Das alles habe den einstigen Kanzler und auch den Marschall dazu getrieben, die sofortige Abreise ihrer Männer zu befehlen.
Somit war der Kreuzzug beendet.
Auch die anderen Fürsten hielt nun nichts mehr. Etliche segelten gleich von Tyros aus mit den ersten verfügbaren Schiffen nach Hause.
Wichtiger als Tibnin und Jerusalem war es jetzt, einen Krieg und eine Doppelherrschaft zu verhindern – und aus der eingetretenen Lage den größten Nutzen zu ziehen.
»Staufen, Welfen … Ich werde mich stets auf die Seite dessen stellen, der mir und Thüringen am meisten bietet. Und wenn ich ein Dutzend Mal die Seiten wechseln muss«, erklärte Landgraf Hermann ganz ungeniert vor seinen Männern und seinem Schwiegersohn.
Markgraf Konrad debattierte mit seinem Vetter Dietrich unter vier Augen, wie sie Philipp von Schwaben dazu bringen konnten, im Austausch für ihre Stimmen bei der Königswahl die Mark Meißen den Wettinern zurückzugeben.
Heinrich von Colditz, der kaiserliche Ministeriale, ließ sich zu einem vertraulichen Gespräch bei Dietrich von Weißenfels melden. Der große, schlanke Mann räusperte sich, dann sagte er: »Falls Ihr erwägt, die Mark Meißen zu beanspruchen, ist Euch meine Unterstützung und die der anderen Reichsministerialen sicher, sofern Ihr Euch auf die Seite Philipps von Schwaben stellt. Ich denke, auch im Namen des Vogts von Reichenbach und all jener zu sprechen, die in Röblingen auf Eurer Seite kämpften.«
In Dietrich arbeitete es, er begann, Pläne zu schmieden, Träume zu träumen.
Doch bevor er zurückkehren konnte, gab es für ihn und einige der
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