Der Traum des Satyrs
nein sagen. Du hast keine eigenen Empfindungen. Du bist nicht dafür geschaffen, dein eigenes Schicksal zu bestimmen.«
»Nein!« Sie riss sich von ihm los, drehte sich um und schleuderte das mächtige Amulett, das sie in der Hand hielt, durch das Portal. Als sie versuchte, Vincent und Landon zu erreichen, gruben sich scharfe giftige Klauen in ihren Rücken und rissen ihr die Haut auf. Benommen fiel sie zu Boden.
Hinter ihr kreischte der Dämon auf, als seine letzte Hoffnung auf Wiedererweckung in Feindeshand fiel. Er sank auf die Knie und wand sich in Krämpfen, während er abscheuliche Flüche und machtlose Zauber ausspie. Dann erschlaffte er und schwand langsam, sehr langsam, zu einem harmlosen Nichts.
Die Wachen, nun ohne Anführer, ließen von Vincent und Landon ab, unsicher, was sie jetzt tun sollten. Da kein Wesen der Anderwelt das Portal aus dieser Richtung ohne eine Einladung durchqueren konnte, standen sie einfach nur verwirrt herum.
»Cara!« Vincent hob sie in seine Arme, während Landon ihm den Rücken deckte und sicherstellte, dass sie unversehrt durch das Tor kamen. Auf der anderen Seite eilten die beiden mit ihr heimwärts und beteuerten ihr immer wieder, sie würden ein Gegenmittel für das Gift des Dämons finden, was auch immer es für eines wäre.
Caras violette Augen öffneten sich und suchten den Blick blauer Augen, und hastig fing sie an, eine weitere Passage aus
Grube und Pendel
zu zitieren:
»Ich war in Ohnmacht gefallen; doch will ich nicht sagen, dass mich das Bewusstsein ganz verlassen hatte; was davon geblieben war, will ich nicht zu bestimmen oder gar zu schildern versuchen; und doch war nicht alles vergangen. Nein – im tiefsten Schlaf – im Fieber – in der Ohnmacht – im Tod – ja! – selbst im Grab ist nicht alles vergangen, sonst gäbe es keine Unsterblichkeit für die Menschen. Wenn wir aus dem tiefsten Schlummer auftauchen, zerreißen wir das dünne Gewebe irgendeines Traumes. Doch das Gewebe mag so zart gewesen sein, dass wir uns eine Sekunde später nicht an das erinnern, was wir geträumt haben.«
Blinzelnd sah sie zu Vincent auf. »Ich habe den Nachteil des Lebendigseins herausgefunden«, sagte sie mit einem leichten Lächeln auf den Lippen. »Schmerz.«
Damit verlor sie das Bewusstsein und kam erst anderthalb Tage später wieder zu sich.
12
Weingut Satyr, Toskana, Italien
Erdenwelt im Jahre 1850
Die Eingangstür der Villa schlug zu.
»Hier drin!«, rief Vincent auf Landons Gruß hin zurück.
Unten donnerten Schritte in Richtung Prunktreppe.
»Schuhe aus!«, rief Cara.
Die Schritte hielten inne. Fast im selben Moment hörten sie zwei dumpfe Laute, als ein Paar Stiefel auf dem Marmorboden aufschlug.
Cara, die gerade rittlings auf Vincent hockte, drehte sich mit einem schiefen Lächeln zu ihm um. »Landon braucht ziemlich lange, um sich daran zu gewöhnen, dass dies hier kein Junggesellenhaushalt mehr ist. Ich habe ihm erklärt, wenn er von den Weinbergen nach Hause kommt, muss er sich bemühen, den Schmutz draußen zu lassen.«
Vincent war gerade von hinten in sie eingedrungen, und obwohl sein Schwanz in ihrer Grotte vor eifrigem Verlangen, weiterzumachen, zuckte, ignorierte Vincent ihn für den Moment und erwiderte ihr Lächeln. »Alte Gewohnheiten lassen sich nur schwer ablegen.«
Vor einer Woche hatten er und Landon Cara in einer uralten Zeremonie geheiratet, bei der die gesamte Familie aus der Erdenwelt und sogar einige Würdenträger aus der Anderwelt zugegen gewesen waren.
Die Schritte kamen näher, und Cara drehte Vincent wieder ihren schlanken Rücken zu, über den ihre seidigen Locken bis zu den Hüften hinab auf seinen Bauch fielen. Vier dünne Striemen zeichneten ihre Schulter, eine Erinnerung an den Angriff des Dämons. Sie waren schon fast verheilt, doch bei ihrem Anblick durchlief Vincent jedes Mal ein Frösteln, wenn er daran dachte, dass er sie beinahe verloren hätte.
Sie sah auf die Tür zu ihrer Linken, die auf den Flur führte, und verzog enttäuscht die Lippen, als die Schritte draußen weiter unten in der Eingangshalle hallten.
»Hier!«, rief Vincent aus.
Beinahe im selben Moment flog die Tür auf, und Landon erschien, mit den üblichen Lederhosen und dunklem Hemd bekleidet. Er wirkte schockiert, sie hier in seinem Zimmer zu entdecken. In seinem Bett.
Vincent hatte sich gefragt, ob sein Freund verärgert darüber sein würde, dass sie, zum ersten Mal, beschlossen hatten, in sein Allerheiligstes einzudringen.
Doch das
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