Der Traum des Satyrs
Landon.
Vincent, der so etwas schon erwartet hatte, nickte.
Anderwelt
»Geht zurück!«, befahl eine strenge Stimme.
Die drei hatten kaum das Portal in die Anderwelt durchschritten, als sie auch schon im Tunnel von einer Horde Wachen aufgehalten wurden, die sie dort erwartet hatten und nun drohend ihre Waffen auf sie richteten.
Cara, die augenblicklich einen ihrer Peiniger erspäht hatte, wich zurück und deutete auf ihn. »Nussknacker.«
Da dieses Wort jedoch ihre bevorzugte Umschreibung für alles geworden war, das sie als unannehmbar empfand, erkannten Vincent und Landon nicht sofort, was sie meinte.
»Julius!«, rief Vincent aus.
Wieso sprach er in so vertraulichem Ton mit ihrem Feind?
»Nussknacker!«, beharrte sie.
»
Er
ist dein Nussknacker?«, hakte Landon nach, der endlich begriff.
»Kurr, genau genommen«, erwiderte die Kreatur mit der Stimme des Nussknackers und trat in das Licht, das vom Portal ausging, welches sie eben erst durchquert hatten. Neben ihr schnappte Vincent nach Luft. Offenbar erkannte er die Gestalt, war aber fassungslos angesichts ihrer äußeren Erscheinung.
Olivgrün gesprenkelte Haut, Augen, die rubinrot und silbern blitzten, Schnurrbart und Stiefel kohlrabenschwarz. Eine Mischung aus zwei Männern – genau so, wie sie es in Erinnerung hatte.
»Ihr müsst zurückgehen«, beharrte einer der Wachsoldaten. »Wir haben unsere Befehle. Das Portal soll heute versiegelt werden, auf Anordnung der Feroce. Es wird keinen Vertrag geben. Und keinen Durchgang mehr zwischen den Welten.«
»Julius, hör mir zu!«, beschwor Vincent den Nussknacker. »Wenn die Dämonen erst haben, was sie von dir wollen, werden sie dich töten und sich einen anderen Wirt nehmen.«
»Er hört dich nicht. Er gehört jetzt uns«, entgegnete der Nussknacker.
»Das Amulett hat deinen Bruder erst vor kurzem zu uns geführt, auch wenn er es schon vor Jahren fand, kurz nachdem es verloren gegangen war. Er war schwach – es war leicht, ihn zu unserem Schüler und später zu unserem Wirt zu machen. Und, noch besser, durch ihn habe ich jetzt die Gelegenheit, dir etwas wegzunehmen. Dir und deiner Familie, die meiner Art so viel Schaden zugefügt hat.«
Er streckte seine Klauenfinger aus und winkte Cara zu sich. »Komm!«
Wutentbrannt stürzten Vincent und Landon auf sie zu und versuchten, zu verhindern, dass er sie holte, während die Wachen sie mit vereinten Kräften daran zu hindern suchten, Cara zu erreichen.
Sie starrte die Klauenhand des Nussknackers an, als handelte es sich um eine Viper.
Nein!
Sie wollte schreien. Doch wie im Traum verließ sie ihre Begleiter, ihre Beschützer, und ging zu ihm.
»Cara!« Vincents wütende und zugleich besorgte Stimme schien weit entfernt.
Ihre Arme hingen kraftlos herab, als ihr Feind sie umarmte und an sich drückte, ihren Kopf an seine Weste presste und ihr Haar streichelte. »Sie kommt mit mir. Wie du siehst, ist etwas von deinem Bruder in mir zurückgeblieben.« Er deutete mit dem Daumen auf seine Brust. »Seine Eifersucht auf dich. Da das Portal versiegelt werden soll, habe ich entschieden, dass es im Grunde nicht notwendig ist, dich zu töten. Ich finde den Gedanken, wie du dich dort in deiner Welt ihretwegen sorgst, viel amüsanter.«
Er neigte sich über sie und küsste ihren Hals mit seinen trockenen und fleischigen Lippen. Widerlich! Rubinrote Augen beobachteten Vincent über ihren Kopf hinweg und genossen seine ohnmächtige Wut.
Vincent und Landon warfen sich hin und her, um dem Griff der Wachsoldaten zu entkommen, die sich nach Kräften mühten, die beiden unter Kontrolle zu halten. In dem ganzen Durcheinander stahlen Caras Finger sich über roten Satin, tauchten heimlich in die Westentasche ihres Entführers ein und fanden den Gegenstand darin. Stehlen. Aber sie bezweifelte, dass es Vincent diesmal etwas ausmachen würde.
Über ihr lachte der Nussknacker und höhnte: »Wie fühlt es sich an, wenn man etwas so sehr will, dass man den Schmerz noch in den Eingeweiden spürt? Aber dieses eine Mal zieht eine Frau mich dir vor, Bruder. Wisse, dass sie mich vögeln wird, wenn das Portal versiegelt ist. Sie wird mir zu Diensten sein – jeden Tag und jede Nacht.« Mit einem Arm um sie gelegt, wandte er sich ab, um sie wegzuführen, in seine Welt.
»Nein«, flüsterte sie, als sie schließlich ihre Stimme und ihren eigenen Willen wiederfand. »Nein.«
Er hielt inne und sah gelinde überrascht mit diesen grässlichen Augen auf sie herab. »Du kannst nicht
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